Gründe für und Wege aus der Einsamkeit

Kreative Lösungen um Menschen zu vernetzen

Obwohl soziale Medien die Menschen über Tausende von Kilometern hinweg verbinden, zeigen zahlreiche Studien, dass sich immer mehr einsam fühlen. Dieser Widerspruch ist ein Symptom der Macken unserer modernen Gesellschaft. Doch wie lässt sich dieses bekämpfen?

Soziale Studien zeigen: Immer mehr Menschen fühlen sich einsam. Gleichzeitig ist die Menschheit durch Netzwerke wie das Mobiltelefon und soziale Medien enger verbunden denn je. Es stellt sich also die Frage, wieso Einsamkeit ein solch grosses Problem darstellt und wie man dagegen vorgehen kann.

Um den Antworten darauf näherzukommen, ist zuerst Einsamkeit als Begriff zu definieren. Auf den ersten Blick scheint sie ein Gefühl zu sein. Näher betrachtet entpuppt sie sich jedoch als ein Erleben von Bezugslosigkeit. Damit ist ein Zustand gemeint, bei dem Gefühle, also verschiedene Gemütszustände, gerade blockiert sind. Um eine Kommunikation über diese Gemütszustände zu ermöglichen, hat die Menschheit mit der Zeit die Konzepte der einzelnen Gefühle erfunden. Gemütszustände beim Namen zu nennen, hilft uns also, unsere Position im Weltgefüge zu verständigen. Mit dieser Position ist das Verhältnis zu anderen Menschen gemeint, denn erst, wenn wir als Person von anderen wahrgenommen werden, fühlen wir uns in unserer Existenz bestätigt.

Ein angeborenes Bedürfnis

Fühlt sich eine Person einsam, empfindet sie eine gewisse Distanz zum Rest der Welt, erlebt also eine Art Dissoziation und spürt ihre eigene Position im Weltgefüge nicht. Wobei Alleinsein an sich nicht sofort bedeutet, dass man einsam ist. Der Zustand der Einsamkeit macht sich erst breit, wenn das Alleinsein unangenehm wird. Dies passiert heute immer öfter, nicht zuletzt, da die Idee eines Gottes, der einst als allsehender, unabhängiger Beobachter von der Gesellschaft wahrgenommen wurde, heute für immer mehr Menschen in den Hintergrund rückt. Entsprechend ist die Bevölkerung immer mehr aufeinander angewiesen, um sich ihrer eigenen Existenz zu vergewissern und zahlreiche Arten von Bestätigung zu erlangen.

Obwohl es auf den ersten Blick unschlüssig erscheint, ist Einsamkeit eine logische Folge von komplexeren Gesellschaften. Das Gegenstück zur modernen Gesellschaft ist die Jäger-und-Sammler-Kultur der ersten humanen Kulturen. Sie prägt den weitaus grössten Teil der humanen Kulturgeschichte, als Menschen in Gruppen, Clans, Stämmen und weiteren ähnlich stark verbundenen Formen der Gesellschaft lebten. Verbundenheit war damals von grösster Bedeutung, denn Einsamkeit führte zum sicheren Tod.

Daraus folgt unser auch heute noch stets präsenter Drang, sich sozial zu verbinden. Das daraus resultierende Gegenstück ist die Angst davor, von der Gesellschaft ausgestossen zu werden. In unserer modernen Kultur der Differenzierung und Individualisierung werden einige unserer Bedürfnisse als Stammeswesen nicht erfüllt.

Elektronisch vernetzt

Das Gefühl der Verbundenheit wird heute zu einem grossen Teil durch soziale Medien und den digitalen Raum an sich gewährleistet. Doch kommt das elektronische Netz mit gewissen Tücken. So sind soziale Plattformen von stetigem Vergleichen, Like und Disliken, Werten und Abwerten geprägt. Wer ein Profil hat, kämpft um Likes, deren Anzahl nie genug ist. So etabliert sich ein Gefühl der Einsamkeit, welche primär durch Pseudonymität hervorgerufen wird.

Gruppe am Handy

Durch soziale Medien sind wir zwar vernetzt, bleiben aber auf kühler Distanz. Bild: Jmartinstock / Depositphotos

Mit Pseudonymität ist das Phänomen der digitalen Kommunikation gemeint, bei der Personen auf Profile und Interaktionen reduziert werden. Durch das Profil mitsamt Profilnamen und Inhalt erhält eine Person ihr Pseudonym. Die Intimität wird im Cyberraum durch die Interaktionen mit anderen Profilen vorgelegt. Während beispielsweise Inhaber von kleineren Profilen mit ihren rund 50 Likes unzufrieden sind, stecken selbst höchst populäre Influencerinnen mit Millionen von Followern tief im Konkurrenzkampf und sind sich ihrer Popularität selten sicher. Schliesslich weiss niemand, was morgen in ist, und wer auf dem digitalen Scheiterhaufen landet.

Analoge Netzwerke knüpfen

Gerade wegen der Vernetztheit online mag Einsamkeit ein so prominentes Problem sein, sagt Natalie Freitag, Koordinatorin des Erzählcafés Deutschschweiz: «Angesichts der digitalen Dienstleistungen hat man gar keinen Ansporn mehr, physisch zur Post oder in einen Laden zu gehen.» So komme man weniger mit Menschen in Kontakt und hat weniger Gelegenheiten für soziale Situationen im Alltag.

Um dem entgegenzuwirken, gibt es zahlreiche kreative Lösungen, Menschen zu vernetzen. Zum Beispiel veranstaltet das Netzwerk Erzählcafé an verschiedenen Orten in der Schweiz Nachmittage und Abende zu den unterschiedlichsten Themen. In Bibliotheken, Kirchen und mehr werden offene Erzähl- und Diskussionsrunden veranstaltet. Zu den besprochenen Themen gehören unter anderem Diversität und Glück, sowie Vergleiche von heute und früher wie die Wandlung des Telefons und des Datings über die Jahre.

Vier Menschen sitzen um einen Tisch und lächeln

Wem es schwerfällt, sich vor Menschen zu äussern, ist im Erzählcafé auch als Zuhörer oder Zuhörerin willkommen. Bild: Kathrin Schulthess

«Die erste Stunde eines Treffens wird jeweils moderiert und die Teilnehmerinnen werden mit Fragen zum Erzählen angeregt», erklärt Natalie Freitag. Die zweite Stunde wird mit ungezwungenen Gesprächen verbracht, da die Teilnehmenden bereits während des ersten Teils durch die Erzählungen Gelegenheit hatten, gegenseitig Anschluss zu finden. Auch gemütliche Erzählrunden ohne vorgegebenes Thema stehen auf dem Plan. Grundsätzlich sind Personen jeden Alters und Geschlechts willkommen, wobei manche Erzählrunden speziell für Senioren, Frauen, Jugendliche oder Personen mit Migrationshintergrund organisiert werden. «Man muss nichts zu erzählen haben, um dabei sein zu dürfen – auch reine Zuhörer sind im Erzählcafé willkommen», sagt Freitag. Bereits dabei zu sein und vielleicht ein paar Worte mit jemandem auszutauschen, kann eine gute Übung für Begegnungen im Alltag sein.

Gelegenheiten für Verbindungen schaffen

Wer Mühe hat, im alltäglichen Leben Kontakte zu knüpfen, kann mit lockeren Übungen klein anfangen. «Ein erster Schritt ist zum Beispiel, den Augenkontakt mit anderen Menschen im Bus oder im Supermarkt zu suchen und einen Moment lang aufrechtzuerhalten», so die Koordinatorin des Erzählcafés. Als nächste Stufe folgt lockerer Smalltalk, dann vielleicht eine längere Unterhaltung. «Der beste Tipp, um sich verbunden zu fühlen, ist jedoch, alte Kontakte zu pflegen und auch mal Freunde anzuschreiben, statt darauf zu warten, zu einem Kaffee eingeladen zu werden.»

Mann mit Brille lächelt im Bus

Bereits kurze Begegnungen lassen uns weniger einsam fühlen. Bild: IgorVetushko / Depositphotos

Überdies gewinnen aktuell Konzepte wie Co-Working an Popularität, wobei sich Freelancerinnen oder Personen, die auf grosser Distanz zum Arbeitgeber arbeiten, in grösseren Büros treffen. So entstehen kleine Gemeinschaften und man trifft sich ab und zu bei einer Kaffeepause oder kocht das Mittagessen gemeinsam. Auch Kantone und Gemeinden bemühen sich, Räume und Gelegenheiten für Verbindungen zu schaffen, zum Beispiel mit Angeboten für Gemeinschaftsgärten oder gemeinsames Kochen.

Wer nebst tiefgründigen Gesprächen und lockerem Austausch ein feines Essen und eine feste Austauschgruppe finden möchte, kann auf der Webseite der Tavolata eine Gruppe finden. Je nach Region lassen sich durch diese Gemeinschaft Gruppen finden, die sich in der Regel monatlich zum gemeinsamen Kochen und Essen verabreden.

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