Gesundheit

Musik und Klänge als Therapieform

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Beim Musizieren wird das gesamte Gehirn genutzt. Bild: Lauren Mancke / Unsplash

Musik ist weit mehr als nur ein unterhaltendes Medium – das heilende Potenzial dieser ist ebenso wenig zu unterschätzen. Für Personen, die einen Schicksalsschlag erlitten haben, ist Musiktherapie gar oftmals ein geeigneter Weg, um das Gehirn anzuregen und wieder in Schwung zu kommen.

Musik, die Klänge der Natur und auch die dazwischenliegende Stille – ein Leben ohne diese akustischen Erfahrungen lässt sich für viele kaum vorstellen. Und doch sind sich die meisten Menschen nicht bewusst, dass diese Klangelemente wahres Heilpotenzial bergen. So lässt sich zu Musik nicht bloss das Tanzbein schwingen, sondern sie kann im Kontext von Musiktherapie ebenso zur Heilung und Begleitung physisch und psychisch beeinträchtigter Menschen beitragen.

Viel Erfahrung in der Musiktherapie weist Beate Roelcke auf. Einerseits ist sie seit 1995 im Bereich der Neurologischen Rehabilitation an der Reha Rheinfelden engagiert und leitet dort die Abteilung Kreative Therapien; auf der anderen Seite amtet Roelcke an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) seit 2009 als Co-Leiterin und Dozentin der Studiengänge Musiktherapie. «Beim Musizieren wird das ganze Gehirn miteinbezogen, die Hirnregionen werden zur Vernetzung angeregt», beschreibt sie den Ansatz der Musiktherapie. Dementsprechend sei deren Angebot etwa für Patienten mit einer Hirnschädigung geeignet.

Musizieren birgt Heilpotenzial für jeden

Die genaue Vorgehensweise einer Behandlung wird in der Musiktherapie entsprechend der beeinträchtigten Person angepasst. So unterscheidet man zwischen aktiver und rezeptiver Musiktherapie. Aktiv ist sie, wenn die Patientin zur eigenen Handlung eingeladen wird, also etwa selbst ein Instrument in die Hand nimmt und sich musikalisch ausdrückt. In der rezeptiven Musiktherapie hingegen wird zugehört und erlebt – die Therapeutin spielt dem Patienten Musikstücke vor, die auch improvisiert sein können. Im entspannten Zustand können die Wirkung der Schwingungen auf den Körper wahrgenommen oder Gedanken und Erinnerungen angeregt werden. Mitunter begibt sich das Gemüt auch auf eine Fantasiereise, bei welcher auftauchende Bilder eine Kraftquelle für den Umgang mit der Erkrankung sein können.

Musiktherapie findet nicht bloss bei bestimmten Alters- oder Zielgruppen Anwendung, sondern kann grundsätzlich jedem dienen – vom frühgeborenen Baby bis hin zur Begleitung von Palliativpatientinnen. Beim Therapieprozess am frühgeborenen Kind findet eine feine Abstimmung über stimmliche Klänge sowie einfache Instrumente statt, die die Raumatmosphäre beeinflussen und auf das Befinden des Kindes eingehen. «Die Babys leiden oft unter Stress, der hiermit gelindert werden soll – Überwachungsgeräte piepen im Raum, sie werden durch Schläuche ernährt oder beatmet, sie müssen oft schmerzhafte Eingriffe über sich ergehen lassen», erläutert Roelcke.

Junge Frau mit Kleinkind am Klavier

Von frühgeborenen Kindern zu Menschen auf dem Sterbebett: Musiktherapie kann für jede Altersgruppe eingesetzt werden. Bild: Paige Cody / Unsplash

Hierbei bildet auch die Zusammenarbeit mit den Eltern einen grossen Teil des Prozesses, wobei die Therapeutin diese anleitet, mit ihrem Kind in eine entsprechende Beziehung zu treten: «Die Eltern dürfen die Kinder auf die Brust nehmen, den Hautkontakt herstellen und für die Kinder singen und summen», erklärt Roelcke den grundlegenden Prozess. So soll vor allem das Bindungsgeschehen gefördert werden, was gemäss psychologischer Literatur früh sehr entscheidend für die Entwicklung der Kinder ist.

Begleitung durch den Sterbeprozess

Am anderen Ende des Lebenszyklus befinden sich die im Sterben liegenden Personen. Hier wird bei der Musiktherapie möglichst nahe mit den Betroffenen zusammengearbeitet. Angepasst wird etwa, wie viel Begleitung die Person möchte und wenn möglich wird gefragt, was ihnen angeboten werden darf. Oftmals sucht die Person auch nochmals das Gespräch. Durch Lieder, Klänge oder Musikstücke, die die Betroffenen aus ihrem Leben kennen, können sie unter Umständen auch angeregt werden und vielleicht Erinnerungen aus ihrem Leben nochmals durchleben. «Das Gehör ist oft das Letzte, was am Lebensende für den Kontakt noch offensteht», so Roelcke. Auch hier erfolgt bei Möglichkeit die Zusammenarbeit mit den Angehörigen, die etwa für ihren geliebten Menschen ein Lied am Sterbebett vorsingen.

Musikkreis mit vier Seniorinnen

Das Musizieren in der Gruppe fördert die Kommunikation und bildet ein Gefühl der Bindung zwischen den teilnehmenden Personen. Bild: Kzenon / Depositphotos

Zwischen Geburt und Lebensende gibt es ebenfalls eine Vielzahl verschiedener Praxisfelder, wo Musiktherapie eingesetzt werden kann. Roelcke arbeitet auf ihrem Gebiet in der Neurorehabilitation hauptsächlich mit Erwachsenen und älteren Personen. Bei weiteren Beispielen handelt es sich etwa um Kliniken für die psychiatrische oder psychosomatische Versorgung, um Altersheime, Demenzabteilungen, onkologische Abteilungen in Kliniken und sogar im Gefängniskontext wird die Musiktherapie eingesetzt, um Straftäter bei der Selbstreflexion zu unterstützen und ihnen eine andere Ebene der Ausdrucksmöglichkeit anzubieten.

Mit Volksliedern die Sprache finden

Je nach bestehender Musik- und Instrumentenerfahrung wird in der Behandlung auf dieses Vorwissen zurückgegriffen, wobei musikunerfahrene Patientinnen ebenfalls zum Zug kommen und zu Beginn die verschiedenen verfügbaren Instrumente ausprobieren dürfen, um für sich das richtige zu finden. Hierbei werden in der Musiktherapie in der Reha Rheinfelden bei Beate Roelcke ebenfalls viele weniger bekannte Instrumente angeboten: Afrikanische Trommeln oder Saiteninstrumente aus Indien sind ebenso eine Möglichkeit wie Gitarre, Harfe, ein Schlagzeug oder auch die eigene Stimme.

Letztere funktioniert teils sogar bei Menschen, die nicht mehr sprechen können. Roelcke nennt hierzu das Beispiel von älteren Patienten, die in ihrer Vergangenheit Schweizer Volkslieder gelernt und gesungen hatten. «Im Gehirn ist die Verknüpfung zwischen Melodie und Sprache gespeichert», führt die Dozentin aus. Dadurch können die Betroffenen diese Lieder trotz des Sprachverlusts weiterhin mit Text singen – eine besondere Chance, auf die in ihrem Gebiet der Neurorehabilitation gerne zurückgegriffen wird.

Bei vielen Patientinnen müsse zu Beginn eine Hemmschwelle überwunden werden: «Besonders bei Erwachsenen ist es häufig auch ein Leistungsthema, dass sie anfangs denken, sie könnten gar nicht musizieren, da sie in der Schule im Musikunterricht immer schlecht waren», erklärt Roelcke. In solchen Fällen gehe es für die Person zunächst darum, zu erkennen, dass es nicht um Leistung geht, sondern darum, sich mithilfe der Mittel der Musik ausdrücken zu können. Oftmals entstehe hierbei während des Prozesses ein Aha-Erlebnis und ein damit verbundenes Erfolgs- und Glücksgefühl.

Die verschiedenen Aspekte der Musik

Die Bewegung ist ebenso ein Teil der Musiktherapie wie das Musizieren und das Musikhören selbst. Wobei der Körper ohnehin immer miteinbezogen wird, ob als reines Wahrnehmungsinstrument oder in aktiver Bewegung. Diese Art der Therapie umfasst also nicht nur das reine Musizieren, sondern bei Möglichkeit auch den Tanz. «Kommt jemand leicht in Bewegung, beziehe ich diese Aspekte gerne mit ein. Auch bei gelähmten Menschen führe ich dazu etwa deren Hand oder unterstütze ein Schwingen zu einer bestimmten Musik», so die Musiktherapeutin. Es gehe in diesem Fall insbesondere darum, den Körper soweit wie möglich einzubeziehen und Ressourcen zu nutzen. Die Wahrnehmung der betroffenen Person sei dabei sehr unterschiedlich – manche spüren viel, andere kaum etwas.

Porträt Beate Roelcke

Beate Roelcke lehrt als Co-Leiterin und Dozentin Musiktherapie an der ZHdK und ist zwei Tage pro Woche als Therapeutin an der Reha Rheinfelden im Einsatz. Bild: zVg

In der Musiktherapie werden mit Geräuschen sowie mit der Stille Aspekte integriert, die nicht primär mit Musik assoziiert werden. Für Beate Roelcke ist dies allerdings ein sehr wichtiges Element, denn Musik entstehe oft aus der Stille heraus, führe in sie hinein und hier stehe in der Behandlung auch oft der Anfang von Reflexionen, die besprochen werden können. Werden Instrumente ausprobiert, entsteht nicht direkt Musik; es wird sich mittels einzelner Geräusche, Klänge, Töne und Rhythmen langsam herangetastet.

Beziehungsarbeit für die Zukunft

Für Roelcke geht es unabhängig von Patientin und Situation in der Musiktherapie «immer um Beziehungsarbeit, das ist in jedem therapeutischen Feld so. Worauf die Aufmerksamkeit besonders gerichtet werden muss, unterscheidet sich von Patient zu Patient.» Wo möglich, wird am Ende der Therapiesitzungen gemeinsam reflektiert und weitergeplant, gefragt, was sie sich für das nächste Mal wünschen und wo die Gefühlswelt sie während den Therapiestunden hingebracht hat.

Für die Zukunft der Musiktherapie und für die künstlerischen Therapien generell wünscht sich Beate Roelcke insbesondere, dass diese hierzulande mehr Anerkennung finden und weitergebracht werden, denn noch seien die Therapieformen in der Schweiz weniger weit verbreitet als es in manchen anderen Ländern der Fall ist; das Angebot besteht hier eher vereinzelt. Roelcke beschreibt sich und ihre Kolleginnen entsprechend zum Teil immer noch als Exoten. «Wir brauchen weitere Forschung, um den Beruf des Musiktherapeuten weiterzuentwickeln und im Gesundheitswesen besser zu verankern.» Ausserdem wünscht sie sich eine verbesserte Regelung, was die Zuständigkeit der Kostenübernahme für eine Musiktherapie anbelangt, denn momentan sei diese zwar in der Alternativversicherung inbegriffen, aber im Gesundheitssystem noch lange nicht fest verankert, wie es andere Therapieformen wie die Logopädie oder Psychomotorik sind.

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