Gesundheit

Wie Bakterien vom Darm aus unser Hirn regieren

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Liebe mag vielleicht durch den Magen gehen, doch durch den Darm senden Bakterien Signale ans Gehirn. Bild: KostyaKlimenko / Depositphotos

Im menschlichen Darm leben zahlreiche Bakterien, welche nicht nur den Körper bei der Ausübung seiner Funktionen unterstützen, sondern auch eine Wirkung aufs Gemüt ausüben. Die Forschung auf diesem Gebiet hat sogar einen Einfluss darauf, wie die Schulmedizin auf den menschlichen Körper blickt.

Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, jeder von uns trägt kleinste Lebewesen in sich. Diese halten sich auf der Haut, in der Mundhöhle und vor allem im Darm auf, wo sich die Bakterien dauerhaft wohlfühlen. Bakterien gehören zu den Mikroben, womit alle Organismen gemeint sind, die fürs blosse Auge unsichtbar sind. Kollektiv wird die Bakteriengruppe im Darm das Mikrobiotop genannt und Forscher gehen davon aus, dass die im Menschen lebenden Bakterien dieselbe oder gar eine höhere Anzahl aufweisen als menschliche Zellen. Entsprechend gross ist ihr Einfluss auf die geistige und körperliche Gesundheit des Menschen. Folglich geht es uns besser, wenn für die in uns lebenden nützlichen Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen gut gesorgt ist. Auf welche Weise dies am besten getan werden kann, versuchen Forschende aktuell herauszufinden.

Dafür wird zuerst untersucht, auf welche Weise das Mikrobiotop genau die Funktionen des Körpers unterstützt. Bislang wurde festgestellt, dass es nicht nur bei der Verdauung helfen und das Gehirn dadurch mit frischen Nährstoffen versorgen, sondern auch einen direkten Einfluss auf unser Verhalten und unsere Gedanken haben kann. Entsprechend könnte diese Entdeckung neue Ansätze zur Behandlung von zahlreichen psychischen Gesundheitsstörungen wie Depression und Schizophrenie erschliessen.

Dieser Zusammenhang zwischen Darmbakterien und Gehirn sowie zwischen körperlichem und geistigem Wohlgefühl bewegt entsprechend Forschende dazu, den menschlichen Körper als Ganzes statt jedes Organ einzeln zu betrachten. Somit tragen Studien auf diesem Gebiet also dazu bei, dass sich auch die Schulmedizin langsam gen ganzheitlichen Ansatz bewegt, wie ihn die Alternativmedizin schon seit Jahrtausenden verfolgt.

Vom Molekül zur Nervenzelle

Bislang wurde die Forschung am Mikrobiotop primär an Mäusen und weiteren kleinen Säugetieren durchgeführt. Ein Forschungsteam der Universität von Kalifornien in Los Angeles hat dabei festgestellt, dass spezifische Darmbakterien nicht nur das Immunsystem und das Gehirn stark beeinflussen können. Sondern können sie auch chemische Verbindungen produzieren, die Nervenzellen, welche Informationen vom Körper ans Gehirn weiterleiten, direkt signalisieren, ihre Aktivität zu regulieren. Entsprechend können von Darmbakterien produzierte Moleküle zum Beispiel das Wachstum der Nervenzellen positiv beeinflussen und dadurch langanhaltende Effekte bei der Vernetzung der Gehirnzellen sowie beim Verhalten allgemein wie Genervtheit oder Sanftmütigkeit verursachen. Auch können Darmbakterien die Produktion von Biochemikalien wie dem Glückshormon Serotonin regulieren, womit die neuronale Aktivität im Gehirn stimuliert wird.

Illustration Nervenzellen

Die Nervenzellen im Gehirn reagieren auf Moleküle, die Bakterien im Darm freigeben. Bild: Giovanni_Cancemi / Depositphotos

Nebst dem Darm bildet auch der Vagusnerv eine wichtige Verbindung zwischen Mikroben und Gehirn. Der Vagusnerv ist der längste Hirnnerv und ist für die Körperfunktionen zuständig. Er verläuft vom Stammhirn über den Hals hinunter zum Herz, den Lungen, dem Magen und weiteren Organen im Bauch. Auf diesen Nerv könnten die Mikroben nicht verzichten, denn durch Versuche an Mäusen wurde festgestellt, dass gewisse Signale, die von Mikroben an die Nerven abgegeben wurden, das Gehirn nicht erreichen, wenn der Vagusnerv ruhiggestellt ist.

Treue Mitbewohner

Die Forschung hat ebenfalls gezeigt, dass Ratten und Mäuse, die in steriler Umgebung und somit ohne Mikrobiotop leben, weniger sozialisieren wollen und eine grössere Neigung zu Nervosität aufweisen. Derselbe Effekt kann bei Versuchsnagern festgestellt werden, die viel Antibiotika bekommen haben. Sie tendieren ausserdem zu einer höheren Risikobereitschaft, lernen langsamer und haben ein schlechteres Erinnerungsvermögen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Organismen dieser Tiere sich bereits so stark ans Mikrobiotop gewöhnt haben, dass sie es für ihre Gesundheit brauchen.

Tatsächlich existierten viele der Mikroorganismen noch bevor es Tiere gab – von Menschen ganz zu schweigen. Entsprechend haben sie sich in und mit den Säugetieren weiterentwickelt und sich so über Millionen von Jahren hinweg ans Leben im Darm optimal angepasst. Nun können die Tiere ohne diese Mitbewohner gar nicht mehr richtig gesund sein, denn ihre Körper kennen kein Sein ohne die Mikroben.

Dabei gilt es zu bedenken, dass diese Ergebnisse bei Nagetieren festgestellt wurden und sich entsprechend nicht direkt auf den Menschen übertragen lassen. Einerseits ist der Mensch ein viel grösserer und komplexerer Organismus, andererseits besitzt jede Person über ein anderes, individuelles Biotop sowie verschiedene angeborene Tendenzen zur Verarbeitung von Nervensignalen. Freilich können Mikroben nicht nur positive Effekte erzielen – viele kommen mit unangenehmen Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Blähungen daher.

Koch richtet Essen auf Teller an

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass zahlreiche psychische Probleme in Zukunft durch den Darm gelindert oder gar geheilt werden können. Bild: .shock / Depositphotos

Die meisten Mikroben tendieren jedoch dazu, einen positiven Effekt auf den Menschen zu haben, vermutlich da sie ihren Wirten in einem möglichst vorteilhaften Zustand behalten wollen. Wenn die Menschen essen, worauf die Mikroben Lust haben, sowie glücklich und sozial aktiv sind, damit sich die Mikroben von Mensch zu Mensch ausbreiten können, sind die winzigen Tiere glücklich. Dann lohnt es sich für sie, dem Wirt einen Schubser in die vorteilhafte Richtung zu geben, damit er ein ausgewogenes Leben führt.

Heilung durch den Darm?

Mit mehr Forschung und Versuchen wird es wohl bald möglich sein, mittels Mikroben im Darm psychische Krankheiten wie Ängste und anhaltende Nervosität zu mildern, wenn nicht gar zu heilen. Für erste Veränderungen muss man nicht auf die Resultate neuer Studien warten – einfache Änderungen im Essverhalten können schon einen grossen Unterschied ausmachen. Zum Beispiel kann das Mikrobiotop profitieren und für den Menschen umso hilfreicher werden, wenn Mensch und Mikroben mehr fermentiertes Essen und ballaststoffhaltige Nahrung geniessen.

Joghurt mit Beeren im Glas

Vollkornprodukte sowie Probiotika wie Joghurt und Kefir machen sich als gutes Frühstück, weil sie die Darmflora stärken. Bild: Naltik / Depositphotos

Wie stark sich das Mikrobiotop im Darm medizinisch verändern lassen und in welchem Umfang es die körperliche und geistige Gesundheit verbessern können wird, bleibt abzuwarten. Jedoch steht ausser Zweifel, dass dieses Gebiet viel Potenzial birgt und sich die Wirkung des Mikrobiotops einfacher manipulieren lässt als zum Beispiel unvorteilhafte Gene, was für die Heilung vieler Krankheiten vielversprechend ist.

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Wenn ich nicht gerade an einem Artikel für FonTimes schreibe, kann man mich beim Lesen, Zeichnen und natürlich beim Yoga erwischen. Als gelernte Übersetzerin begeistere ich mich für Sprachen und bin immer für eine Tasse Tee zu haben.
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