Vermittlungsprojekt «Zug in der Welt»

Lokale Geschichte(n) mit globaler Strahlkraft

Wie gelangte Ende des 19. Jahrhunderts die Milch von Chamer Kühen in britische Kolonien? Wie wurde Steinhausen zu einem Knotenpunkt für Zusatzfutter? Wer legte die Basis für den Erfolg der Zuger Metall-, Elektro- und Textilindustrie? Das Forschungs- und Vermittlungsprojekt «Zug in der Welt» liefert Antworten und will auch Laien für Zuger Geschichte(n) begeistern. Die digitale Plattform ging am Montag online.

Geschichte hat einen schweren Stand – als Schulfach marginalisiert und grossmehrheitlich aus dem Stundenplan gekippt, bei der Studienwahl an Universitäten seit längerem auf dem absteigenden Ast. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint so intensiv mit der Bewältigung der Gegenwart und dringlichen Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz beschäftigt zu sein, dass der Blick in die Vergangenheit gern vergessen geht. Dabei ist ein solcher gerade für den Kanton Zug unverzichtbar. Dessen spektakulärer Aufstieg vom agrarisch geprägten Armenhaus zum wohlhabenden Industrie- und Dienstleistungsstandort wäre ohne Pionierarbeit in der Vergangenheit schlicht undenkbar. Das Projekt macht deutlich: Im Kanton Zug haben in der Vergangenheit genau so grosse oder sogar grössere Umwälzungen als heute stattgefunden, und wer nicht weiss, wie die Menschen diesen Wandel früher gestaltet haben, ist schlecht für die Zukunft gewappnet.

Unerwartete Verflechtungen

«Zug in der Welt» analysiert die Entwicklungen der Zuger Industrie-, Wirtschafts- und Sozialdynamik und schärft den Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge. Aber nicht ohne auf Misserfolge, problematische Dynamik und negative Begleiterscheinungen wie ein rasantes Bevölkerungswachstum, fehlende beziehungsweise überlastete Infrastruktur, überteuerte Immobilien, unwiderruflich zerstörte Baukultur einzugehen. Ebenso wird aufgezeigt, welche Persönlichkeiten ihren Einfluss geltend machten, wer am stärksten vom Aufstieg Zugs profitierte, wann welche Weichenstellungen vorgenommen wurden und welche Handlungsoptionen sich dem Kanton, seinen Unternehmen und dem Gewerbe boten. Autorinnen und Autoren beleuchten lokale Eigenheiten und machen bisher wenig bekannte und unerwartete nationale und internationale Verflechtungen in verschiedenen Branchen sichtbar. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf dem 19. und 20. Jahrhundert.

Schwarz-Weiss-Fotografie, historische Stanzmaschinen

Stanzmaschinen in den Shedhallen der Landis & Gyr. (Bild: Heinz Horat – Fabrikarchitektur)

Initiator des Projekts ist Ulrich Straub, Präsident vom Verein Industriepfad Lorze (IPL) und als Nachfahre von Industriepionieren auch persönlich mit der Zuger Industriegeschichte verbunden. Mit «Zug in der Welt» will er der Wirtschaftsgeschichte wieder jene Erklärungskraft zugestehen, die sie verdient. Das Projekt möchte auch die jüngere Generation dazu animieren, in das Abenteuer Wirtschaftsgeschichte einzutauchen. Jungunternehmer und Start-ups werden realisieren, dass der Kanton schon vor weit über 100 Jahren von Innovation und Unternehmergeist geprägt war. Von Firmen wie Landis & Gyr und V-Zug ging im 20. Jahrhundert eine ähnliche Strahlkraft aus, wie dies im beginnenden 21. Jahrhundert von Johnson & Johnson, Glencore, Nordstream, Siemens, Novartis und Roche der Fall ist.

Diskurs und Fakten statt Stereotype und Halbwahrheiten

«Zug wird immer wieder gern von unserem Nachbarkanton Zürich kritisiert. Stereotype sind weit verbreitet, aber nur wenige kennen unsere Geschichte», bedauert Straub. Dies sei umso bemerkenswerter, als viele Firmen im katholischen Zug nur dank des Geldes und den Kenntnissen der reformierten Pioniere aus dem Handels- und Finanzplatz Zürich so erfolgreich wurden. «Die auswärtigen Unternehmer spannten mit den Einheimischen zusammen und stellten mit ihren Fabriken und neuer Technik den beschaulichen Zuger Alltag auf den Kopf», so Straub. Auch Tobias Straumann, Professor für Geschichte der Neuzeit und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich, unterstreicht die Bedeutung des Projekts: «Wer den Kanton Zug verstehen will, muss seine Wirtschaftsgeschichte kennen. Es ist deshalb höchste Zeit, sie gründlich zu erforschen und zu vermitteln.» Als Wirtschaftskanton hat Zug also ein genuines Interesse an einer gut informierten Öffentlichkeit und einem faktenbasierten, qualitätsvollen und vitalen Diskurs über seine Geschichte.

Gruppenfoto im Grünen, vier Männer und zwei Frauen

Die Projektverantwortlichen von «Zug in der Welt». (Bild: Sabine Windlin)

Die Projektleitung von «Zug in der Welt» obliegt Magaly Tornay (Universität Bern). Sie führt die Projektgruppe, der nebst den beiden Zugern Heinz Horat und Armin Jans auch Daniel Nerlich vom Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich angehören. Im wissenschaftlichen Beirat sitzen Monika Dommann (Universität Zürich), Gisela Hürlimann (Universität Dresden) und Tobias Straumann (Universität Zürich). Die rund 20 Autorinnen und Autoren der Beiträge verfügen über eine ausgewiesene Expertise in Wirtschaftsgeschichte und erarbeiten als unabhängige Stimmen die jeweiligen Themen. Unterteilt sind diese in die Kapitel «Wirtschaft und Politik», «Gesellschaft und Umwelt», «Landwirtschaft und Industrie», «Energie und Verkehr», «Arbeit und Wohnen» und «Planen und Bauen».

Führungen, Vorträge und Spotlights

Nach Fertigstellung aller 30 Textbeiträge geht man 2025 mit öffentlichen Führungen und Vorträgen in die Vermittlung und entwickelt Formate, die sich spezifisch an den Bedürfnissen von Schulen orientieren. Realisiert werden sollen auch kurze und bekömmliche «Spotlights», die sich medial verwerten und digital verbreiten lassen. Die Botschaft ans Publikum: Am Beispiel vom Zuger Wandel lässt sich ein Stück Welt erklären.

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