Luzern sagt invasiven Pflanzen den Kampf an

Neophytensack soll helfen, ungebetenen Gästen den Garaus machen

Seit Kurzem gibt es in Luzern einen neuen Müllsack für invasive Neophyten. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt mit dem Ziel, importierte Pflanzen, welche die einheimische Flora verdrängen, zu entfernen. Ein Problem, welches in den letzten Jahren verschärft hat.

Seit über 500 Jahren bringen Reisende gebietsfremde Pflanzen, Neophyten genannt, aus fernen Ländern bewusst, aber auch aus Versehen, in das Gebiet der heutigen Schweiz. In der Schweiz sind generell viele gebietsfremde Pflanzen anzutreffen, wie die Kartoffel, die Tomate oder die Baumnuss. Obwohl sich ihre Heimat ausserhalb Europas befindet, haben sich diese Pflanzen gut an die hiesigen Bedingungen akklimatisiert. Doch einige dieser Arten verhalten sich invasiv, das bedeutet, dass sie sich stark ausbreiten und die lokale Flora verdrängen. Auf diese Weise bedrohen sie die Artenvielfalt der Pflanzen in der Schweiz. Manche Neophyten sind als blinde Passagiere hierhergekommen und sind schädlich für die Gesundheit, andere destabilisieren Bachufer und beschädigen Bauten, da sie enorm kräftig sind und sich sehr schnell verbreiten.

Auf der schwarzen Liste der invasiven Neophyten, welche von der Freisetzungsverordnung geführt wird, sind aktuell 41 Pflanzenarten notiert. Darunter der Sommerflieder, der Kirschlorbeer und der Essigbaum. Manche Neophyten wie der Kirschlorbeer und der Sommerflieder sind noch im Handel erhältlich. Im Winter 2020 hat der Bundesrat aber die Motion für ein Verbot des Verkaufs von invasiven Neophyten zur Annahme empfohlen. Nun will der Bundesrat in der zweiten Jahreshälfte die Revision des Umweltschutzgesetzes zur Botschaft vorlegen.

Freiwillige zur Unterstützung gesucht

Der Kanton Luzern kämpft gegen die Neophyten mit der Unterstützung seiner Gemeinden und nun auch mit Privatpersonen. Erhältlich ist dafür im Kanton Luzern seit Ende Mai ein sogenannter «Neophytensack». Dieser wurde mit den drei Abfallverbänden REAL, GALL und GKRE lanciert. Die total 30’000 Säcke haben ein Fassungsvermögen von je 60 Litern. Jede Gemeinde soll 240 solcher Säcke bekommen und bei Bedarf nachbestellen. Freiwillige Pflanzenliebhaber und Gartenbesitzer füllen diese nun mit Samen, Wurzeln und austriebsfähigen Sprossen der unerwünschten Neophyten. Die vollgestopften Säcke werden dann wie normaler Kehricht zur Entsorgung bereitgestellt. Die Pflanzen sollen nicht in den Grünabfall gelangen, sondern verbrannt werden, damit sich ihre Samen nicht verbreiten können, wie wenn der Kompost benutzt würde.

Neophytensack steht auf dem Boden

Diese Neophytensäcke werden gratis vom Kanton verteilt und von der regulären Kehrichtabfuhr mitgenommen. Bild: Cristina Perrenoud, Agentur Umsicht

Marie-Louise Kieffer ist Umweltbereiterin bei der Umweltberatung Luzern. Sie sagt: «Ziel ist es, nicht blinden Aktionismus zu betreiben, sondern sich gut über die invasiven Neophyten zu informieren. Wenn man sich sicher ist, dass es sich um die gemeinte Pflanze handelt, kann sie gezielt entfernt werden.» Oft bestehe Verwechslungsgefahr, da einige einheimische Wildpflanzen den unerwünschten Neophyten sehr ähnlichsehen. Deswegen lohne es sich, auf der Webseite der Umweltberatung Luzern die Beschreibungen der invasiven Neophyten zu lesen und mit der gefundenen Pflanze zu vergleichen. Die Umweltberatung hilft gerne bei der Bestimmung der Pflanze. Dafür ist es wichtig, der Umweltberatung gute Fotos von der Pflanze zu liefern. Die Umweltberatung steht den Pflanzenjägern per Mail, telefonisch oder bei einem Besuch im Bourbaki zur Verfügung. Hier findet man Beratung und Merkblätter, um die Neophyten zu erkennen und sachgerecht zu bekämpfen.

Kein Stück darf übrigbleiben

Auf der Webseite der Umweltberatung Luzern findet man, wie die einzelnen Pflanzen bekämpft werden können und worauf man dabei besonders achten muss. Jede Pflanze hat spezifische Eigenschaften und muss etwas anders bekämpft werden. Manche Neophyten sind von Hand nur schwer zu entfernen, andere schlagen auf ihre Weise zurück. So kann zum Beispiel der Riesenbärenklau starke Verbrennungen verursachen, weswegen sich Fachleute diesen mit der nötigen Ausrüstung vornehmen.

Sommerflieder lockt Schmetterling an

Der Sommerflieder mag Schmetterlinge anlocken, doch breitet er sich rasant aus, weswegen er als invasiv gilt. Bild: cquigley/Depositphotos

Die freiwilligen Helfer aus der Bevölkerung sollen sich auf die Austreibung von krautigen Neophyten konzentrieren, die von Hand mitsamt der Wurzel ausgerissen werden können. Teilweise kann man dabei mit dem Spaten nachhelfen und die Wurzel ausstechen, damit auch das letzte Stück der Pflanze entfernt wird. «Es ist wichtig, keine Überbleibsel der Pflanze liegen zu lassen oder zu verschleppen, da sich einige Pflanzen auch aus kleinen Stücken wieder verbreiten können», erzählt Marie-Louise Kieffer.

Die Bedeutung der Artenvielfalt

Wenn sich invasive Neophyten verbreiten, bilden sie gerne Monokulturen. Oft verbreiten sie sich an Orten, wie beispielsweise an Trockenwiesen und Feuchtgebieten, an denen bereits gefährdete Pflanzen wachsen, und verdrängen diese noch stärker. Wenn das passiert, verschwinden nicht nur vom Aussterben bedrohte Pflanzen- sondern auch seltene Tierarten. «Die rote Liste ist aktuell bereits lang. Die Ausbreitung der Neophyten beschleunigt ihr Wachstum», so Kieffer. Die Bedrohung der Biodiversität werde deutlich unterschätzt. Es sei nicht bloss um die Tiere und Pflanzen schade, ihr Verschwinden bringe auch dem Menschen viele Probleme. So seien zum Beispiel viele Wildbienenarten auf gewisse einheimische Pflanzen spezialisiert und würden mit ihnen aussterben. Die Wildbienen sind wiederum ein entscheidender Helfer in der Produktion von Obst und Gemüse, da sie die Pflanzen bestäuben. Wildbienen sind viel effizientere Bestäuberinnen als Honigbienen – ohne sie würden die Ernten viel magerer ausfallen.

Ambrosia

Wer die Ambrosia auf seinem Grundstück findet, muss sie bekämpfen und ihren Standort melden. Bild: elenathewise/Depositphotos

Eine hohe Biodiversität mache das Ökosystem stabiler, sagt Kieffer. Wenn in der Natur ein Problem wie eine Krankheit, ein Parasit oder die Erderwärmung auftaucht, können biodiverse Ökosysteme viel besser damit umgehen, da ihre verschiedenen Pflanzenarten unterschiedliche Eigenschaften besitzen. Monokulturen und Ökosysteme mit geringer Vielfalt brechen viel schneller zusammen, da ihre Pflanzen ungefähr die gleichen Bedürfnisse und Schwächen haben. Wenn viele Pflanzenarten auf einem Fleck vorhanden sind, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich ein Teil von ihnen den Umständen anpassen kann oder bereits eine Resistenz zum Beispiel gegen Trockenheit besitzen. Wenn nur wenige Arten vor Ort sind, erleidet das Ökosystem viel grössere Schäden, wenn die Pflanzen die Veränderung nicht ertragen.

Infrastrukturen und Ufer schützen

Invasive Neophyten destabilisieren auch Infrastrukturen, da sie schneller und kräftiger wachsen. So hat der Japanknöterich ein starkes Wurzelwerk, mit dem er die Erde auflockert und Dämme und Ufer destabilisiert. Einheimische Pflanzen haben ein anderes Wurzelwerk und tendieren dazu, die Ufer zu stabilisieren, da sie in die lokale Flora passen. Sie können Bauten zwar auch beschädigen, doch wachsen sie weniger schnell.

Wenn die Ufer beschädigt werden, verlieren die Menschen Land, die Tiere und Pflanzen Lebensraum. Das Wasser der Flüsse und Seen schwemmt die Erde langsam weg und macht sich breit. So wird der Artenvielfalt wortwörtlich der Boden unter den Füssen weggeschwemmt.

So schnell wie möglich handeln

«Die Bekämpfung der unerwünschten Neophyten ist sehr aufwendig und erstreckt sich teilweise über Jahrzehnte», so Marie-Louise Kieffer. Nachdem man die Pflanzen entfernt hat, müsse man während der nächsten Jahre immer wieder kontrollieren, ob sie sich nicht aus ihren Überbleibseln regenerieren konnten. Dazu fehle den Kantonen oft das Budget. Deswegen werden die invasiven Neophyten auch nicht flächendeckend bekämpft. Die Bürgerinnen und Bürger werden dazu aufgefordert, in ihrer Wohngegend die Neophyten zu melden und vor allem den eigenen Garten auf unerwünschte Neophyten zu untersuchen.

Wildbiene auf Lavendel

Wildbienen und Schmetterlinge sind oft auf gewisse Pflanzenarten spezialisiert. Die Abnahme der Artenvielfalt beschleunigt ihr Aussterben. Bild: valio84sl/Depositphotos

«Je später mit der Bekämpfung begonnen wird, desto höher ist der Arbeitsaufwand», erzählt Kieffer, «einige Arten profitieren auch vom Klimawandel». Neophyten wie die Robinie und der Sommerflieder waren zuerst nicht invasiv, doch mit der Zeit breiteten sie sich immer aggressiver aus. «Neophyten brauchen stets etwas Zeit, um sich ihrer neuen Umgebung anzupassen. Erst nach dieser Gewöhnungszeit kann man beobachten, ob sich die Pflanze invasiv verhält oder nicht», so Kieffer. Deswegen wurden viele exotische Gartenpflanzen wie der Sommerflieder erst lange Zeit später zum Problem.

E-Tools von Infoflora

Um die Pflanzen gründlich auszutreiben, bietet Infoflora, das nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora, ein Online-Feldbuch an. Dort können vom Kanton organisierte Personen sowie Freiwillige festhalten, wo und welche invasiven Neophyten sie gesichtet haben. Das Feldbuch ist auch in Form einer App erhältlich, damit man die Karte stets griffbereit hat und nachschlagen kann, wonach man Ausschau halten soll. Infoflora bemerkt auf seiner Webseite, dass der Kanton auf die Zusammenarbeit mit den Gemeinden vertraut, da diese ihre Gebiete besser kennen und deswegen effizienter arbeiten könnten. Infoflora führt eine Prioritätenliste, was die Eliminierung einiger Pflanzenarten anbelangt. Zuoberst auf der Liste stehen die Ambrosia, der Sommerflieder, der Essigbaum und der Riesen-Bärenklau. Wenn man auf dem eigenen Grundstück eine Ambrosia findet, ist man laut der Webseite von Infoflora sogar gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Standort zu melden und sie zu bekämpfen.

Die Umweltberatung Luzern steht bei Fragen bezüglich Pflanzen kostenlos zur Verfügung. Auf der Umweltberatungswebseite findet man viele Informationen: Die Ansprechpersonen in jeder Gemeinde, Pflanzenbestimmungshilfen, Bekämpfungshinweise und ein Werkzeug zur Erfassung von Neophytenstandorten. Auch die Abgabestellen der Neophytensäcke sind aufgeführt.

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