Interview mit Regula Mühlemann

«Mozart möchte ich immer treu bleiben»

Dieser Tage erfüllt sich für Opernsängerin Regula Mühlemann ein Traum: Sie singt im Rahmen der Salzburger Festspiele in «Die Zauberflöte» Pamina. Für die Luzernerin geht es anschliessend bereits weiter nach London und Paris. Davor hat sie sich jedoch Zeit für uns genommen und unter anderem verraten, aus welchem Grund sie lernen musste, sich von ihren Bühnenrollen zu trennen, weshalb Mozarts Werke immer noch brandaktuell sind und warum sie die einheimische Bevölkerung manchmal unfreiwillig unterhält.

Frau Mühlemann, wie erlebten Sie die Auftritte auf der Piazza San Marco in Venedig, wo Sie vor Kurzem gemeinsam mit Michael Schade, Markus Werba sowie dem Orchester und Chor des Teatro La Fenice die Carmina Burana aufführten?

Ich würde es als «once in a lifetime»-Erlebnis bezeichnen. Wir MusikerInnen haben zwar viele schöne Orte, wo wir auftreten können, aber die Piazza San Marco zu toppen, ist kaum möglich.

Ist Venedig ein Ort, wo Sie generell gerne auftreten?

Ich habe eine spezielle Verbindung zu dieser Stadt, da ich sie mit meinem Karrierestart verbinde – ich hatte dort mein erstes Auslandsengagement. Diese zwei Monate in Venedig waren eine Lebensschule, die bis heute nachwirkt. Das Besondere war auch, dass ich in dieser Zeit die kompletten Gegensätze erlebt habe: Ein leeres Venedig im Januar und im Februar mit dem Karneval das absolute Gegenteil.

Regula Mühlemann Fledermaus

In «Die Fledermaus» verkörperte sie Adele. Bild: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Stichwort keine Leute. Dies war auch während der Pandemie der Fall, als es keine Auftritte mit Publikum gab. Haben Sie seither die Erfahrung gemacht, dass Live-Musik bei den Leuten wieder einen höheren Stellenwert geniesst?

Auf der einen Seite konstatieren viele VeranstalterInnen, dass das Publikum noch nicht wieder in vollem Umfang zurück ist. Manche sprechen von Ausfällen im Bereich von zehn bis gar 40 Prozent. Wobei ich nicht glaube, dass der Hauptgrund dafür bei uns immer noch die Angst ist, sondern eher, dass man sich an eine gewisse Bequemlichkeit gewöhnt hat. Auf der anderen Seite sind jene, die die Konzerte besuchen, teilweise komplett überwältigt und sie erzählen, wie sie es kaum ausgehalten haben ohne Kunst und Kultur. Diese Erlebnisse sind sehr berührend und zeigen auch, weshalb ich meinen Beruf so sehr liebe.

Wie schwierig war es für Sie, nach der konzertfreien Zeit die Intensität und innere Spannung für die Auftritte wieder aufzubauen?

Ich hatte immer mal wieder Streaming-Auftritte – die zwar kein adäquater Ersatz waren, da ich den Austausch mit dem Publikum brauche, doch halfen sie mir, etwas im Fluss zu bleiben. Auch das Training hielt ich abgesehen von den ersten Monaten mehr oder weniger aufrecht. Irgendwann kamen Auftritte mit einem kleinen Publikum dazu und ich konnte mir einen gewissen Turnus schaffen. Entsprechend war der Schritt, wieder «richtig» aufzutreten, nicht riesig. Auch wenn ich mich vor den ersten Auftritten mit grossem Orchester fragte, ob ich das überhaupt noch kann (lacht). Doch nach jahrelangem Training sind die Fähigkeiten sehr schnell wieder abrufbar.

Wie nutzen Sie jeweils die Zeit, wenn einige Tage zwischen den Auftritten liegen?

In der Regel gehen den Auftritten die teilweise mehrwöchigen Proben voraus, was man meinem Konzertkalender nicht ansieht. Das Konzert ist quasi die Spitze des Eisbergs – das Resultat, auf das man oft wochenlang hingearbeitet hat. Gerade für die Oper erfolgt die Vorbereitung oftmals vor Ort und szenisch. Es ist wichtig, musikalisch top vorbereitet zu den szenischen Proben zu erscheinen. Für Liederabende und Konzerte erfolgt die Vorbereitung vor Ort in sehr kompakter Form.

Was heisst das konkret?

Ich bereite mich auch über Wochen bis Monate zuhause vor, allein oder beim Lied-Duo in Proben mit der Pianistin. Am Konzertort ist die Zeit dann sehr reduziert. Mit Orchester etwas länger, aber meistens nicht mehr als ein paar Tage. In der Oper kann es schon einmal sein, dass man mehr als zwei Monate in einer Stadt verbringt.

Zur Person 

Regula Mühlemann (36) wuchs in Adligenswil LU auf. Durch ihre Familie kam sie schon früh mit Musik in Kontakt. So besass ihre Mutter eine grosse Plattensammlung und es wurde viel gesungen. Mit der grossen geistlichen Musik kam sie in der Luzerner Kantorei in Kontakt. Der Leiter dieser überzeugte die Luzernerin schliesslich, auf eine Karriere als professionelle Sängerin zu setzen. So entschloss sie sich zu einem Studium bei Barbara Locher an der Musikhochschule Luzern. 

Mühlemann sammelte erste Erfahrungen auf der Opernbühne am Luzerner Theater. Danach führten sie Engagements unter anderem ans Teatro La Fenice nach Venedig. 2012 gab sie ihr Debüt als junge Papagena in der Oper «Das Labyrinth» bei den Salzburger Festspielen. Mühlemann erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, 2015 war sie Finalistin des Wettbewerbs «Cardiff Singer of the World». 

Im Februar 2020 feierte sie als Adina in «L’Elisir d’amore» ihr Haus- und Rollendebüt an der Wiener Staatsoper und kehrte kurz darauf als Blonde in einer Neuproduktion der «Entführung aus dem Serail» von Hans Neuenfels an das Haus am Ring zurück. Mühlemann war bereits in mehreren Filmen zu sehen, zuletzt 2018 in Bernard Webers Dokumentarfilm «Der Klang der Stimme». 

Neben dem Opernrepertoire widmet sich Mühlemann auch dem Liedgesang, ihr Debütalbum «Mozart Arias» veröffentlichte sie 2016. Im Oktober erscheint ihr fünftes Album «Fairy Tales». Aktuell ist sie als Pamina in «Die Zauberflöte» an den Salzburger Festspielen zu sehen und hören. Ihre nächsten Auftritte in der Schweiz sind in Solothurn (16.10.), Liestal (18.10.), der Kirche St. Peter in Zürich (19.10.) mit den CHAARTS Chamber Artists und dem «Fairy Tales»-Programm, in Aarau (1.11.), Rheinfelden (2.11.) und in Mels Verrucano (6.11.) mit «Heimat». 

Sie sind aktuell in Salzburg im Rahmen von «Die Zauberflöte» als Pamina zu sehen und hören. Was bedeutet es Ihnen, diese Figur singen zu dürfen?

Kürzlich erhielt ich auf Facebook eine Erinnerung, dass ich vor zehn Jahren hier in Salzburg mit «Das Labyrinth» – dem zweiten Teil der Zauberflöte – meine erste Opernproduktion erlebte. Damals wurde gleichzeitig auch «Die Zauberflöte» aufgeführt und ich dachte mir, dass es ein Traum wäre, darin Pamina singen zu dürfen – und dieser ist nun in Erfüllung gegangen. Diese Erinnerung war wichtig, um mir wieder vor Augen zu führen, was mir diese Rolle eigentlich bedeutet und woher ich komme. Denn irgendwann gewöhnte ich mich etwas daran, Ziele zu erreichen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich sie schaffe.

Erkennen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Pamina und Ihnen?

Mir gefällt, dass sie im Stück als sehr starke Frau geschrieben ist. Sie ist ehrlich, aufrichtig und scheut sich nicht davor, ihre Meinung zu äussern; sie ist mutig und voller Tatendrang. Doch leider wird sie in vielen Zauberflöten-Inszenierungen als Spielball des Geschehens dargestellt, als eine Figur, die eher blass ist und reagiert statt agiert. Ich habe nie verstanden, weshalb man eine schwache Pamina aus ihr macht. In dieser Inszenierung ist sie hingegen – auch auf meinen Wunsch hin – sehr mutig, selbstbewusst und -bestimmt.

Le Nozze di Figaro

Mühlemann als Susanna in «Le Nozze di Figaro». Bild: T+T_Toni Suter / Opernhaus Zürich

Wie stark versuchen Sie generell, den Figuren eine eigene, persönliche Note mitzugeben?

Dies geschieht automatisch. Natürlich steht die Figur und nicht Regula Mühlemann auf der Bühne, doch habe ich durch mein Mindset immer einen eigenen Zugang zur Rolle. In den meisten Partien, die ich bislang gesungen habe, konnte ich eine Verbindung zu mir herstellen. Sei sie auch noch so düster, irgendetwas kann man immer in sich ausgraben, das einem einen Zugang gibt (lacht). Ist dies nicht der Fall, kann es vorkommen, dass ich die Rolle ablehne. Wenn mich zu viel an der Figur stört, wie sie sich verhält und auf Einflüsse reagiert.

Kann es manchmal sogar schwer sein, die Figur wieder loszulassen?

Zu Beginn war dies so. Bei meinen ersten Produktionen fiel mir die Unterscheidung zwischen Realität und Figur schwer. Als ich vor einigen Jahren in Luzern Julia in «Romeo und Julia» verkörperte, war dies meine erste tragische Rolle. Dabei musste ich lernen, dass ich diese tragische Figur, die ich über Wochen Tag für Tag stundenlang verkörpere, nicht ständig mit mir rumtragen und es mich nicht bedrücken darf. Ich spürte auch, dass diese Rolle zu viel meiner eigenen Energie absorbierte. Ich lernte jedoch relativ rasch, mit dem Ausziehen des Probekostüms am Abend auch meine Bühnenrolle abzulegen.

Regula Mühlemann Luzern

In ihrer Heimat Luzern ist sie nur hin und wieder anzutreffen. Bild: Mischa Christen

Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsgeheimnis, dass diese teilweise jahrhundertealten Werke nach wie vor aktuell sind und auch immer noch neue Aspekte und Ansätze gefunden werden können?

Dass Kostümfilme sehr gut ankommen, zeigt sich aktuell ja auch bei den Streaminganbietern. Wir mögen es, in vergangene Zeiten und andere Welten einzutauchen. Ein anderer Punkt ist, dass beispielsweise bei vielen Mozart-Opern die Beziehungen unter den Figuren sowie zwischenmenschliche Komponenten wie Liebe, Hass, Betrug oder Eifersucht im Zentrum stehen. An diesen Gefühlen hat sich bis heute wenig geändert. Kommt hinzu, dass jene Beziehungen teilweise zwischen Figuren angelegt sind, die vermeintlich nicht zusammengehören sollten wie eine Gräfin und eine Kammerzofe, die befreundet sind oder ein Kammerdiener, der sich gegen einen Grafen auflehnt. Dass Hierarchien aufgebrochen werden sollen und somit Gesellschaftskritik betrieben wird, ist nach wie vor brandaktuell. Gerade Mozart hatte hervorragende Menschenkenntnisse. Da es bei seinen Werken immer «menschelt», lassen sie sich auch sehr gut modernisieren.

Sie schätzen Mozart und sein Schaffen generell sehr, haben schon in zahlreichen seiner Opern mitgewirkt. Hatten Sie auf der anderen Seite auch schon das Gefühl, sich von ihm etwas lösen zu müssen, um nicht auf seine Figur beschränkt zu werden?

Ja, wobei ich dies mit allem habe, da man gerne schubladisiert wird. Dies gilt sowohl für die Intendanten, als auch fürs Publikum: Man ist dann zum Beispiel eine Mozart- oder eine Barocksängerin. Ich habe aus diesem Grund irgendwann bewusst einige Barockangebote abgelehnt und mein Repertoire in Richtung Romantik ausgedehnt. Je nachdem, wo man in seiner Karriere gerade steht, passen ausserdem unterschiedliche Rollen zu einem. Mozart möchte ich jedoch immer treu bleiben. Mit ihm kann man sich über die Jahre auch enorm weiterentwickeln. 

Ein Grossteil der Werke ist in Italienisch gehalten. Sprechen Sie die Sprache perfekt, um Figuren und Handlung gänzlich nachvollziehen zu können?

Perfekt nicht. Kommt hinzu, dass das Opern-Italienisch nicht mit dem heutigen Italienisch gleichzusetzen ist. Es kommt tatsächlich vor, dass ich im Alltag unbewusst eine noble, veraltete Form verwende und sich die Einheimischen darob fast kugeln vor Lachen. Immer wieder gibt es bei den Opern Begriffe, die man heute nicht mehr kennt. Aber wenn ich eine neue Partie lerne, verstehe ich meist ziemlich genau, worum es inhaltlich geht. Bei der Aussprache ist ein Coach sehr hilfreich, um das perfekte Bühnenitalienisch möglichst zu treffen. Auch mein Französisch ist gut, aber keinesfalls perfekt.

Opus Klassik 2018 Nachwuchskünstlerin

2018 erhielt die 36-Jährige den Opus Klassik als «Nachwuchskünstlerin des Jahres». Bild: Markus Nass

Von welchen Sprachen neben Italienisch, Französisch, Deutsch und Englisch sollte man zumindest Grundkenntnisse haben als OpernsängerIn? Zum Beispiel Russisch?

An der Hochschule lernte ich drei Semester lang Russisch, um die Aussprache zu verbessern. Man muss grundsätzlich offen sein, neue Sprachen in sein Repertoire aufzunehmen. Kürzlich sang ich erstmals eine tschechische Arie. Da musste ich entsprechend mit einem Coach an der Aussprache feilen. Ich bin generell sprachbegeistert und finde es faszinierend, wie man bei der Sprache jeweils sehr viel Kultur raushören kann.

Wie froh sind Sie, sich in der Welt der Klassik zu bewegen und nicht zum Beispiel im Biotop der Popmusik? Denn wenn man beispielsweise in den sozialen Medien die Kommentare studiert, scheint ein sehr respektvoller Umgang zu herrschen. Anderswo fällt die Kritik sehr viel destruktiver aus.

Dies weiss ich tatsächlich sehr zu schätzen und mag auch damit zusammenhängen, dass das Durchschnittsalter des Publikums natürlich höher ist als in anderen Musikgenres. Dies bringt weitere Vorteile mit sich. So erkennt mich kaum einmal jemand im Ausgang. Generell ist es so einfacher, Privat- und Berufsleben zu trennen.

Regula Mühlemann Piano

Regula Mühlemann bei ihrem Auftritt an der Schubertiade Schwarzenberg mit Pianistin Tatiana Korsunskaya. Bild: Instagram Regula Mühlemann

Kann es hinter den Kulissen trotzdem auch anders zugehen? Stichwort Konkurrenz, wer welche Rolle erhält.

Tatsächlich erlebe ich es als sehr entspannt. Zu Beginn meiner Karriere war es eher so, dass ich für eine Rolle vorsingen und mich gegen zahlreiche Mitbewerberinnen durchsetzen musste. Doch seit mindestens zehn Jahren ist es so, dass ich für eine bestimmte Rolle engagiert werde, da stellt sich die Konkurrenzfrage nicht. Auch Intrigen habe ich eigentlich noch nie miterlebt – vielleicht werden allfällige Konflikte eher zwischen den Agenturen ausgetragen und von den KünstlerInnen ferngehalten.

Leben Sie mittlerweile den grössten Teil des Jahres in Salzburg?

In Salzburg lebe ich nur den Sommer über zwei Monate lang. Es verteilt sich stark. So werde ich nach den Auftritten in Salzburg für einen Monat nach Paris gehen, gefolgt von Konzerten an verschiedensten Orten – auch in der Schweiz. Im vergangenen Jahr verbrachte ich am meisten Zeit in Wien, da ich zahlreiche Gastverträge in der Wiener Staatsoper hatte.

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