Forschung, die unter die Haut geht

Schlieremer Start-up Cutiss auf dem Weg ins All

In Schlieren züchtet man neue Haut. Das Start-up Cutiss forscht an neuen Methoden zur Behandlung von Verbrennungsopfern. Für die Forschung der Zukunft brach man im März dafür zum ersten Mal in den Weltraum auf – gemeinsam mit einem weiteren Schweizer Unternehmen.

Rund 400 Kilometer über unseren Köpfen kreist die Internationale Raumstation (ISS). Als grösste und langlebigste Station der Raumfahrtgeschichte ist sie nicht nur ein Prestigeobjekt für die internationale Zusammenarbeit der Weltgemeinschaft, sondern auch ein attraktives Ziel für Forscher und Forscherinnen auf der Erde. Denn ein kommerzieller Flug zur ISS und die mögliche Durchführung der Experimente durch eines der ständigen Besatzungsmitglieder ist wohl die einfachste Lösung, um Forschung im Weltall zu betreiben.

Falcon-9 Rakete SpaceX Start

Die Falcon-9-Rakete von SpaceX beim Start in Florida. Bild: zVg

In den vergangenen 20 Jahren wurden so bereits über 3000 Experimente in der Schwerelosigkeit durchgeführt. Die Raumstation eignet sich vor allem für Langzeitexperimente in vielen Wissenschaftsgebieten. Neben Meteorologie, Astronomie und Physik steht vor allem die Biologie im Fokus, da die Bedingungen auf der ISS einzigartig sind. Die kosmische Strahlung im All, eine erhöhte UV-Strahlung, die extremen Temperaturunterschiede und die fehlende Schwerkraft lassen sich auf der Erde nur schwer simulieren. Vor allem die annähernde Schwerelosigkeit, auch Mikrogravitation genannt, begünstigt das Wachstum von Proteinkristallen, welche für die Medikamentenentwicklung benötigt wird, sowie für biologisches Gewebe und Organe.

Forschen im All

Zu den Unternehmen mit einer Forschungsmission auf der ISS zählt seit März diesen Jahres auch das Schlieremer Start-up Cutiss. In Zusammenarbeit mit dem jurassischen Raumfahrtunternehmen SpacePharma schickte man für einen Monat ein Mikrolabor auf die Raumstation, um die Auswirkungen des Weltalls auf Hautgewebe und Zellkulturen zu erforschen. «Menschliche Hautzellen zu Forschungszwecken in den Weltraum zu schicken, ist etwas, das wir schon seit 2018 machen wollten», erzählt Daniela Marino, Mitgründerin von Cutiss.

Mikrolabor von SpacePharma

Letzte Handgriffe am Mikrolabor von SpacePharma. Bild: zVg

Das Start-up entwarf das Experiment und lieferte die Hautzellen, während SpacePharma die passende Ausrüstung für die Durchführung an Bord der ISS entwickelte. «Dabei musste fast alles im Voraus programmiert werden, um den Bedarf an menschlichen Eingriffen auf der ISS zu minimieren», erzählt Marino. Das automatisierte Minilabor enthält mikrofluidische Chips, mit denen physikalische und chemische Eigenschaften von Stoffen auf einer kleinen Ebene untersucht werden können. Man kann sich die Chips grob wie eine komplexere Petrischale aus Glas vorstellen, welche mit lebenden Zellen in Bewegung gefüllt ist. Möglich machte den Flug zur ISS auch der Fortschritt in der kommerziellen Raumfahrt. «Die Weltraumforschung ist dadurch zugänglicher geworden», sagt Marino. So hob das Mikrolabor am 15. März an Bord einer Dragon-Transportkapsel des US-Unternehmens SpaceX vom Kennedy Space Center in Florida aus ab.

Eine neue Haut als Chance

Die Biotechnologin Marino forscht und arbeitet seit 2005 in Zürich. Als Spin-off der Universität Zürich und des Universitäts-Kinderspitals Zürich wurde dann im März 2017 Cutiss gegründet. Heute führt Marino das Start-up als CEO, welches sich mit der Züchtung von Gewebe und der Regeneration der Haut beschäftigt. Derzeit sind am Hauptsitz in Schlieren und in der Forschungseinrichtung in der Nähe von Nizza 45 MitarbeiterInnen beschäftigt.

Aktuell arbeitet man an einem künstlichen Hautersatz für PatientInnen mit schweren Verbrennungen, welcher aus eigenen Hautzellen im Labor gezüchtet wird. Das Produkt namens Denovoskin befindet sich aktuell noch in den klinischen Versuchsreihen. Die Herstellung der neuen Haut dauert dabei rund einen Monat, anschliessend wird diese den PatientInnen wieder transplantiert. Dafür wird nur eine kleine Gewebeprobe benötigt, zudem wächst die neue Eigenhaut mit, was gerade bei Kindern mit Verbrennungen ein wichtiger Punkt ist und die Narbenbildung soll nur minimal ausfallen.

Hautersatz Denovoskin im Labor

Der Hautersatz Denovoskin im Labor. Bild: zVg

Im April präsentierte man positive Ergebnisse aus der klinischen Phase-2-Studie. Hier zeigte sich das Produkt sowohl wirksam als auch sicher für die PatientInnen. Für die Mitgründerin von Cutiss gibt es weltweit keine vergleichbare Behandlung und man sei nun einen weiteren Schritt näher an der Marktreife des Hautersatzes.

Die Uhren ticken anders

«Als Hersteller von künstlichen Hauttransplantaten haben wir ein grosses Interesse daran, zu verstehen, warum die Wundheilung im Weltraum langsamer verläuft und wie Hautzellen im Weltraum altern», erklärt Marino das Interesse an der Forschungsmission. Um die Unterschiede zwischen dem Verhalten der Hautzellen auf der Erde und im All festzustellen, wurde das identische Experiment parallel im Labor von Cutiss durchgeführt. «Die Idee dabei ist, Unterschiede in der Genexpression zu beobachten», sagt Marino. Die Genexpression ist die Umsetzung von genetischen Informationen in eine zelluläre Struktur. In diesem Fall bedeutet das konkret, wie die Hautzellen in einer anderen Umgebung ihre Proteine produzieren. Die Beobachtungen aus dem Experiment könnten in Zukunft dabei helfen, die Gesundheit von Astronauten bei längeren Weltraumaufenthalten besser zu schützen, aber auch Möglichkeiten für neue Therapieansätze auf der Erde aufzuzeigen.

mikrofluidischen Chips

Diese kleinen mikrofluidischen Chips stecken im Labor. Bild: zVg

Welche dies genau sein könnten, dafür ist es laut Marino noch zu früh. Immerhin betritt man mit der Weltraumforschung Neuland. Nach dem einmonatigen Experiment kehrt das Mikrolabor wieder zur Erde zurück. Anschliessend macht es sich von den USA aus auf den Weg nach Schlieren. «Die Analyse vor Ort wird dann einige Monate in Anspruch nehmen», erklärt Marino. Von den gewonnenen Ergebnissen wird dann auch abhängen, ob es in Zukunft noch weitere Ausflüge ins All geben wird. Ideen und Pläne dafür hat man zumindest bei Cutiss aber schon im Kopf.

Während man auf die Rückkehr der Proben aus dem All wartet, plant man in Schlieren für 2023 noch die Vermarktung eines medizinischen Geräts namens VitiCell. Dieses soll in Hautarztpraxen und Kliniken zur Behandlung der Pigmentierungsstörung Vitiligo, die zu weissen Flecken auf der Haut führt, eingesetzt werden. Weltweit leiden etwa 0,5 bis 2 Prozent der Bevölkerung an der chronischen Krankheit, welcher in den letzten Jahren eine grössere Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Wie etwa durch das kanadische Model Winnie Harlow, die ebenfalls an der Krankheit leidet.

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