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Satellitenjäger aus Luzern räumt den Himmel auf

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Weltraumschrott wird zunehmend eine Gefahr für die Raumfahrt. Bild: EvgeniyShkolenko / Depositphotos

Klima, Militär, KommunikationTausende von Satelliten umkreisen rund um die Uhr die Erde. Nach Jahrzehnten der Raumfahrtexpansion wird es im Orbit zunehmend voller. An der Hochschule Luzern arbeitet man für die Europäische Weltraumorganisation ESA erstmals an einer Lösung für den angesammelten Weltraumschrott.

Im Oktober 1957 bewegte sich der sowjetische Satellit Sputnik 1 noch als einziges Objekt auf der Umlaufbahn der Erde. Es folgten ein paar Genossen inklusive der Weltraumhündin Leika, bevor auch die US-Amerikaner im Februar 1958 mit dem Explorer einen Satelliten ins All schossen und damit im Space Race ausgleichen konnten. Zahlreiche Fehlschläge und Abstürze wie Sputnik 4, welcher nicht in der Atmosphäre verglühte und von dem Teile auf die Erde stürzten, stehen stellvertretend für die rasante Entwicklung der Raumfahrt, bei der lange Zeit keine Kosten und Mühen gescheut wurden.

Anfang 2022 umkreisten mehr als 8’200 Satelliten unseren blauen Planeten. Allerdings waren nur knapp 4’900 davon aktiv, was bedeutet, dass sie kommunizieren und steuern können. Die Zahl der Satelliten steigt seit 2019 enorm, verantwortlich dafür ist vor allem das Satellitennetzwerk Starlink des US-Unternehmens SpaceX. Das führte auch dazu, dass im Jahr 2022 mit 180 Raketenstarts ein neuer Rekord aufgestellt wurde. Mit über 3’000 Satelliten ist das Raumfahrtunternehmen von Elon Musk der mit Abstand grösste Betreiber im All. Langfristig könnten es bis zu 40’000 rasende Starlink-Antennen werden, die die Welt mit Internet versorgen sollen.

Nun ist der Erdorbit kein zweidimensionaler Raum, aber es wird in der Zukunft deutlich voller am Nachthimmel werden. Das Problem dabei sind auch nicht die aktiven Satelliten, sondern jene, die nur noch dank ihrer Umlaufbahn als Weltraumschrott um die Erde kreisen. Hinzu kommen die Überreste von Raketenstufen und Trümmerteile, welche durch Kollisionen entstanden sind. Allein von den Schrottteilen in der Grösse eines Tennisballs soll es laut der NASA über 20’000 Stück geben. Diese gefährden nicht nur die heutigen Satelliten und Astronauten, sondern auch zukünftige Missionen im All. Denn die Schrottteile bewegen sich extrem schnell mit mehreren 10’000 Kilometer pro Stunde um die Erde.

Satellitenjäger aus Luzern

Nachdem man diese Entwicklung im Orbit lange nur beobachtet hat, schreitet nun mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA erstmals jemand zur Tat. Mit der Mission «ClearSpace-1» soll eine Sonde entwickelt werden, die noch in diesem Jahrzehnt eine himmlische Müllabfuhr ins Leben rufen soll. An der Entwicklung des Chasers – oder Satellitenjägers – arbeitet auch ein fünfköpfiges Forschungsteam von der Hochschule Luzern (HSLU). Am Kompetenzzentrum Intelligent Sensors and Networks entwickeln die beiden Co-Leiter Jürgen Wassner und Klaus Zahn eine Kamera, mit der der Chaser-Satellit seine Ziele ins Auge fassen soll, sowie einen Computerprozessor, der den Anflug autonom steuern kann.

Forscher Klaus Zahn

HSLU-Wissenschaftler Klaus Zahn. Bild: zVg

Die Idee dahinter ist, dass der Chaser zunächst von der Erde in die Umlaufbahn des Ziels geschossen wird, bevor er sich ihm langsam nähert. «Man kann den Chaser nur sehr grob an den Weltraumschrott heranführen, da die Sichtbarkeit zur Kommunikation nur für 12 bis 15 Minuten pro Erdumrundung gegeben ist», erklärt Klaus Zahn ein Grundproblem der Mission. Die letzten Kilometer bis zum Greifen des Objekts müsse also autonom vom Satelliten selbst erfolgen. Anschliessend würde der Chaser sich so positionieren, dass er den gleichen Impuls und dieselbe Drehung wie das Ziel hat, bevor er mit seinen Greifarmen zupackt. «Das realistischste Szenario ist, dass er danach zusammen mit dem Weltraumschrott in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht», erklärt Jürgen Wassner. Da man jeden Chaser nur einmal verwenden kann, ist die Kostenfrage bei der Entwicklung entscheidend.

Über die Simulation zum Erfolg

Die Greifmechanik ist dabei allerdings noch Zukunftsmusik. Aktuell arbeitet das Team der HSLU zunächst an einer Machbarkeitsstudie für das Projekt. Diese soll noch bis Sommer dieses Jahres andauern und wurde von der ESA finanziert. Dafür entwickelten die Wissenschaftler eine Computersimulation, die mit den richtigen Daten einen korrekten Anflug des Chasers durch eine künstliche Intelligenz simulieren kann. «Man braucht sehr viele Daten, also Bilder und Videosequenzen von Weltraumschrottteilen, um diese KI-Modelle zu trainieren», erklärt Wassner.

Forscher Jürgen Wassner

Jürgen Wassner, Co-Leiter CC Intelligent Sensors and Networks, HSLU. Bild: zVg

Das Problem dabei: Es gibt nur von wenigen Weltraumobjekten frei zugängliche 3D-Modelle. Mithilfe eines vorhandenen Modells vom Klimasatelliten Sentinel-6 mussten so zunächst synthetische Bilder zum Trainieren der KI erstellt werden. «Im aktuellen Zustand des Simulators können wir den Optimalfall simulieren. Bis zum Ende der Entwicklungsphase würden wir aber sicher auch Fehlerfälle simulieren», so Wassner. Sprich bei einem nicht korrekten Zugriff würde der Chaser mit dem Ziel kollidieren und ein Schrottteil mehr im Erdorbit schweben.

Sentinel-6 Simulationsbild

Ein synthetisches Bild von Sentinel-6 aus der Simulation. Bild: zVg

Eine weitere Herausforderung ist die Entwicklung des Prozessors. Dieser muss an Bord des Chasersatelliten nicht nur extreme Temperaturschwankungen und die Strahlung im All überstehen, sondern auch mit begrenzter Energie und damit Rechenleistung auskommen. «Mit unendlichen Ressourcen und Zeit kann man alles realisieren. Die Kunst der Ingenieurswissenschaft ist aber, mit den vorhandenen Ressourcen das Beste herauszuholen», erklärt Wassner, der ein Spezialist für die Implementierung von KI-Algorithmen auf eingebetteten Rechnerplattformen ist, während sich Zahn um die Bildverarbeitungsalgorithmen kümmert. Denn während unsere Smartphones auf der Erde leicht 120 Bilder pro Sekunde aufnehmen können, sorgen die technischen Herausforderungen dafür, dass der Chaser am Ende nur mit einem oder zwei Bilder pro Sekunde seine Arbeit korrekt verrichten muss.

Big in Japan

Als Vorbereitung der nächsten Entwicklungsphase und für zukünftige Zusammenarbeiten besuchten die beiden HSLU-Forscher im Februar Shinichi Kimura an der Tokyo University of Science. Kimura ist spezialisiert auf das Testen von Elektronik für den Einsatz im Weltall und besitzt dafür Ausrüstung, die es hierzulande nicht gibt. Im Gegenzug plant der japanische Professor im April einen Besuch in Luzern. Zudem traf man vor Ort mit Kamerahersteller Nikon einen weiteren Projektpartner.

Wenn alles nach Plan läuft, würde im Herbst die Prototypenphase mit der Entwicklung der Kamera beginnen. Diese würde sich über zwei Jahre erstrecken. Anschliessend würden dann aber noch viele weitere Phasen folgen, um die Technik weltraumtauglich zu machen. Die ESA plant den Start von «ClearSpace-1» für das Jahr 2026. Laut Wassner eine optimistische Einschätzung, der 2027 oder 2028 für realistischer hält – zumindest für seine Technik.

Kamerablick auf Weltraumschrott

Die Kamera liefert die Bilder, die einen selbstständigen und korrekten Anflug des Chasers ermöglichen. Bild: zVg

Dabei steht längst noch nicht fest, ob letztendlich auch die Technik von der HSLU an Bord sein wird, wenn der erste Chasersatellit seine Reise antritt. Auch andere Forschungsgruppen arbeiten an technischen Lösungen für das Projekt und am Ende ist es ein Konkurrenzkampf der WissenschaftlerInnen, bei dem man sich in jeder Phase neu beweisen muss. «Aber wir denken, dass wir mit guten Resultaten der Machbarkeitsstudie direkt mit der ESA weitere Finanzierungsmöglichkeiten finden können», erklärt Wassner.

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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