Interview mit dem Rektor der Schule Menzingen

«Unsere Belastungsgrenze in der Schule ist erreicht»

Seit einigen Wochen gehen in Menzingen fast 40 Kinder aus der Ukraine zur Schule. Wir haben mit dem Rektor der Schule Menzingen Walter Holdener über die Herausforderungen für Kinder wie Schule gesprochen und wie es nach den Sommerferien weitergeht.

Herr Holdener, zurzeit besuchen fast 40 ukrainische Kinder – das sind 10 Prozent der gesamten Schülerzahl – Ihre Schule. Gehen diese aktuell schon in die Regelklassen oder besuchen sie noch Extraklassen?

Sie werden zurzeit noch in separaten Klassen beschult. Wir haben je eine Klasse für die Erst- bis Drittklässlerinnen, eine für die Viert- bis Sechstklässler und eine für die Oberstufenschülerinnen. Die Ausnahme bilden die Kindergartenkinder. Sie wurden sofort in den Regel-Kindergarten integriert, da Kinder in diesem Alter noch mitten im Spracherwerb sind und erfahrungsgemäss schnell eine neue Sprache erlernen. Auch ältere Kinder werden zum Teil schon in den Regelunterricht integriert. Z.B. besuchen einige die Fächer Sport, Mathematik oder Bildnerisches Gestalten mit Schweizer Schülern – Fächer, bei denen die Sprache nicht die gleich hohe Hürde darstellt wie bei anderen.

Was lernen die ukrainischen Kinder in der Schule?

Das Hauptaugenmerk liegt im Moment darauf, sie ankommen zu lassen, ihnen Sicherheit zu vermitteln, Strukturen zu schaffen und einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt klar auf der deutschen Sprache. Im Unterricht, welcher aktuell an den Vormittagen stattfindet, gehen sie zum Beispiel auch mal mit der Lehrperson einkaufen und lernen so spielerisch die deutschen Begriffe für Apfel oder Erdbeere kennen.

Was sind die grössten Herausforderungen und Schwierigkeiten?

Eine solch grosse Zahl an Kindern in so kurzer Zeit in der Schule unterzubringen, ist eine grosse Herausforderung an sich. Unsere Schule war in der Zentralschweiz eine der ersten, die Flüchtlingskinder in dieser grossen Zahl zu integrieren hatte. Wir mussten sozusagen «vorspuren», hatten wenig, an dem wir uns orientieren konnten. Eine grosse Herausforderung war auch der zusätzliche Raum- und Personalaufwand. In den bestehenden Schulhäusern mussten alle zusammenrücken. Zudem ist die Schulkultur in der Ukraine eine andere als die unsrige, auch innerhalb der Ukraine gibt es grosse Unterschiede. Erschwerend kommt hinzu, dass die ukrainischen Kinder die letzten zwei Jahre pandemiebedingt ausschliesslich Fernunterricht hatten. Wir haben aktuell Zweitklässler, die zuvor noch nie in einem Schulzimmer sassen.

Es ist für alle Beteiligten eine neue Situation, eine Ausnahmesituation. Was bedeutet das für eine ganze Schule?

Einmal gut «durchgeschüttelt», kann man sagen. Knapp einen Monat, nachdem die Pandemie beendet war, mussten wir uns einer neuen Ausnahmesituation stellen. Innerhalb von knapp drei Wochen entstanden drei neue Klassen. Es ist für alle keine einfache Situation, aber schlussendlich muss man sich bewusst machen, dass es um Menschen und ihre Schicksale geht. Das bewegt und spornt uns alle an, unser Bestes zu geben. Jeder ist bereit, etwas mehr zu leisten als verlangt. Wir rücken zusammen und suchen Wege, um uns kennenzulernen und zusammenzufinden. Und es bietet ja auch Chancen, wir können gegenseitig voneinander lernen und profitieren.

Niemand weiss, wie lange der Krieg in der Ukraine noch anhält. Wie geht es mit den ukrainischen Kindern hier weiter?

Wir gehen vom Szenario aus, dass diese Kinder hierbleiben und daher optimale Voraussetzungen für ihren weiteren schulischen Weg erhalten können. Zurzeit findet sehr viel Abklärungsarbeit statt: Sind die Kinder altersgerecht eingestuft? Was sind mögliche Anschlusslösungen für Oberstufenschülerinnen? Unser Ziel ist es, nach den Sommerferien alle Kinder und Jugendlichen in die Regelklassen zu integrieren. Ganz wichtig ist uns dabei, dass niemand zu kurz kommt. Nicht die ukrainischen Kinder, aber auch nicht die Schüler in den bestehenden Klassen. Neben zusätzlichen internen Ressourcen unterstützen uns Fachpersonen vom Kanton wie der schulpsychologische Dienst und der gemeindliche Schulsozialarbeiter. Unseren Lehrpersonen stehen auch spezifische Weiterbildungsangebote zur Verfügung.

Man muss damit rechnen, dass noch mehr Flüchtende aus der Ukraine nach Menzingen kommen und im Kloster untergebracht werden. Darunter auch Kinder.

Unsere Belastungsgrenze in der Schule ist erreicht. Weitere, neuankommende Flüchtende, die in Menzingen untergebracht werden, können den Unterricht in Baar besuchen. Hierbei spielt die Solidarität unter den Gemeinden eine grosse und wichtige Rolle.

Sie haben täglich mit Kindern und Jugendlichen zu tun, sind auch selber Vater. Die Schicksale müssen Ihnen sehr nahe gehen.

Ich habe mit Müttern aus der Ukraine gesprochen, die erzählten, wie sie geflüchtet sind, sie nicht wissen, wie es ihren Männern geht und ob diese überhaupt noch leben, dass sie nicht wissen, wann und ob sie wieder in ihr Land zurückkehren können. Das lässt mich nicht kalt und geht mir nahe. Und es motiviert mich aber gleichzeitig auch, alles zu geben.

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