Wie Tiere im urbanen Dschungel überleben

Die Lebensstrategien der städtischen Fauna

Die globale Artenvielfalt nimmt stetig ab. Dies nicht zuletzt wegen Städten, die einen wenig einladenden Lebensraum für Flora und Fauna darstellen. Um tierfreundlichere Städte zu planen, haben Forschende Lebensstrategien und Bedürfnisse von Tieren in urbanen Räumen untersucht.

Wo einst wilde Natur und Lebensraum für unzählige Tiere war, nehmen heute Städte diesen Raum ein. Das bedeutet versiegelte Böden, verbaute Flächen und öde Grautöne. Damit einher gehen unter anderem weniger Verstecke und Nahrung für Tiere und Insekten, womit vielen Arten die natürliche Lebensgrundlage in Städten fehlt. Die Verbauung der Natur ist eine der Hauptursachen für den rasant fortschreitenden Artenverlust, der sich weltweit beobachten lässt und durch viele Faktoren wie den Klimawandel beschleunigt wird. Doch bedeutet dies keineswegs, dass Städte keine tierischen Mitbewohner behausen.

Die Stadt stellt Tieren zahlreiche Bedingungen und Hürden, mit denen sie klarkommen müssen, um zu überleben. Dazu gehört, dass weniger Grünflächen zur Verfügung stehen, welche hier nur im kleinen Format wie zum Beispiel in Parks, Gärten und auf Balkonen zu finden sind. Auch sind die Temperaturen im urbanen Gelände oft höher als in der Natur, da sich die Luft zwischen Strassen und Häuserschluchten aus Beton erhitzt und aufstaut. Des Weiteren kommen weder der Verkehr noch die Lichtverschmutzung den Tieren entgegen. Was Biodiversität angeht, wirken Städte also als grosse Filtrierungsanlagen für Pflanzen, Tiere und Insekten – bleiben dürfen nur diejenigen, die sich der Stadt anpassen können oder deren überlebenswichtigen Eigenschaften bereits mit den Bedingungen der Stadt kompatibel sind.

Die Sonne scheint im Central Park in New York.

Der Central Park in New York könnte als Inspiration für zukünftige grossflächige Stadtparks dienen. Bild: IgorVetushko / Depositphotos

Die Artenvielfalt kann jedoch gefördert werden, indem bei der Planung und Pflege von Grünflächen in Städten die wichtigsten Bedürfnisse und Lebensstrategien der lokalen Fauna miteinkalkuliert werden. Deswegen wurde in einer internationalen Studie untersucht, welche Überlebensstrategien viele Stadttiere gefunden haben und welche ihrer intrinsischen Eigenschaften ihnen das Leben im urbanen Umfeld möglich machen. Auch die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL war an dieser Studie beteiligt, die vom Wissenschaftsmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde.

Von Generalisten und Spezialisten

Für die Studie hat das Forschungsteam Messdaten von Laufkäfern, Bienen, Vögeln, Fledermäusen, Reptilien und Amphibien untersucht, jeweils bezogen auf deren Körperbau, Ernährung und Fortpflanzung. Der Rahmen der Studie wurde breit gehalten und es wurden Daten von 379 Städten auf sechs Kontinenten gesammelt.

Entsprechend der Einteilung in Generalisten und Spezialisten (siehe Box), liegt die Annahme nahe, dass in Städten deutlich mehr Generalisten zu finden sind, da sie weniger spezifische Anforderungen haben. Jedoch hat die Studie ergeben, dass auch Spezialisten sich in Städten wohlfühlen können, sofern sie die für sie nötigen Lebensbedingungen vorfinden.

Biologen unterscheiden bei Tieren und Pflanzen zwischen Generalisten und Spezialisten. Generalisten sind in Bezug auf ihre Umwelt nicht sehr wählerisch und können unter vielen unterschiedlichen Umständen überleben. Spezialisten hingegen legen sich jeweils auf eine bestimmte Nahrungsquelle fest und brauchen auch sehr spezifische Bedingungen für ihre Fortpflanzung.

Vier Lebensstile der Stadttiere

Die Forschenden konnten Tiere anhand ihrer Lebensstrategien in Städten in vier Kategorien einteilen: Mobile Generalisten, mobile Spezialisten, Standort-Spezialisten und Ortstreue mit einer vielseitigen Ernährung. Zu den mobilen Generalisten gehören Laufkäfer und Fledermäuse, die grosse Distanzen von Grünfläche zu Grünfläche überbrücken können und nicht wählerisch sind, was die Ernährung anbelangt. Manche Fledermäuse leben sogar nach der Strategie, möglichst grosse Strecken zwischen verschiedenen Futterquellen und ihrem Nistplatz zu fliegen. So holen sie sich die beste Nahrung, wo immer sie zu finden ist. Mobile Spezialisten wurden in der Studie nicht näher untersucht. Jedoch gehen die Forschenden davon aus, dass es auch mobile Tierarten gibt, die sich auf spezifisches Futter spezialisiert haben. Dieses würden sie in einem grossen Gebiet suchen, ohne jeweils regelmässig an einen Ort zurückzukehren.

Eine Zwergfledermaus

Die Zwergfledermaus gehört zu den mobilen Generalisten und ist die in Zürich meistverbreitete Fledermausart, da sie am lichtunempfindlichsten ist. Bild: shopartgallery / Depositphotos

Ähnlich sieht es bei den ortstreuen «central place foragers» aus. Zu dieser Gruppe gehören Vögel und Wildbienen, die in der Regel von einem Ort aus und in einem weiten Umkreis auf Nahrungssuche gehen. In der Stadt sind beide Tierarten weniger mobil als auf dem Land und entsprechend auch weniger wählerisch bei der Nahrungssuche. Damit die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ihr Nachwuchs genug Futter erhält und bis ins geschlechtsreife Alter überlebt, kommen in der Stadt auch weniger Jungtiere zur Welt.

Am stärksten gefährdet

Zu den sogenannten Standort-Spezialisten gehören Amphibien und Reptilien. Diese Tiere halten sich in Lebensräumen auf, die so gut auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind, dass sie diese nur zur Nahrungssuche verlassen müssen. Und selbst diese verläuft unspektakulär, weil eine Quelle den Standort-Spezialisten genügt. Diese Taktik reduziert die Konkurrenz unter den verschiedenen Tierarten, weil sich jede Tierart nur auf ein kleines Gebiet mit dem dort vorhandenen Futter spezialisiert und so die anderen Tiere nur wenig stört. Auf diese Weise kann auf einer geringen Fläche eine grosse Anzahl an Tieren und Tierarten relativ harmonisch zusammenleben.

Eine Blaumeise sitzt an einem Vogelhaus.

Die Blaumeise sucht in einem grossen Gebiet nach Futter und fliegt stets zu ihrem Nest zurück, weswegen sie zu den ortstreuen Sammlern gehört. Bild: SarahLouPhotography / Depositphotos

Der Lebensstil der Standort-Spezialisten scheint mit zahlreichen Vorteilen einherzugehen, resultiert jedoch aus einem Mangel – Amphibien und Reptilien finden in Städten nur sehr wenige Teiche und sonnige, ruhige Gebiete vor, die sich als Brutplätze eignen. Standort-Spezialisten sind folglich am stärksten gefährdet, weil ihre Lebensräume zerstört oder verkleinert werden, weil sie weniger Nahrung finden oder schlicht durch Umweltverschmutzung gestört werden.

Grüner Blick in die Zukunft

Diese gewonnenen Erkenntnisse aus der Studie zeigen, dass trotz der sinkenden Biodiversität Lebewesen mit sehr verschiedenen Bedürfnissen und (Über)lebensstrategien die Stadt immer noch ihr Zuhause nennen. Der Mensch kann Tiere mit einer geschickten Stadtplanung unterstützen, indem er ihre wichtigsten Ressourcen schützt oder im besten Fall fördert. Besonders hervorzuheben sind sichere Orte zur Fortpflanzung, die vor allem für spezialisierte Arten eher selten zu finden sind.

Ein Gebäude in Singapur, dessen Fenstersims aussen mit Sträuchern und anderen Pflanzen bewachsen ist.

Mit grünen Dächern und Balkonen, so wie bei diesem Gebäude in Singapurs Innenstadt, könnte zur Biodiversität beigetragen werden. Bild: chriss73 / Depositphotos

Städte könnten einen geeigneteren Lebensraum für Tiere darstellen, wenn sie dichter gebaut würden. Denn so könnten grössere Grünflächen belassen werden, wo Tiere alles vorfinden, was sie für ein erfülltes Leben benötigen. Dabei sollte in erster Linie auf die Biodiversität von Pflanzen gesetzt werden, denn diese deckt die Bedürfnisse vieler verschiedener Insektenarten ab, welche wiederum Futter für zahlreiche Tierarten darstellen. Mit einer Steigerung der Pflanzenvielfalt kann also mit wenig Aufwand die Biodiversität in vielen Aspekten gefördert werden. Auch Dächer können begrünt werden, um zusätzlichen Lebensraum für Insekten und Nahrungsmöglichkeiten für Tiere zu schaffen.

Nicht zu unterschätzen ist, wie sehr Brücken zwischen verschiedenen Grünflächen zur Artenvielfalt beitragen. Besonders für Tiere, die weder fliegen noch sich schnell bewegen können, sind solche verbindenden Korridore wertvoll. Mit Wegen zwischen Grünflächen können sich solche Tiere verbreiten, das Risiko für Inzucht sinkt um ein Vielfaches und die Population kann wachsen. In einer dicht bebauten Stadt mit grossen, gut vernetzten Grünflächen und zahlreichen sicheren Versteckplätzen wäre die urbane Tierwelt am besten aufgehoben.

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