Alltag

Stadtplanung mit Urban Psychology

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Beim Projekt Mattenbach 2 in Winterthur entstanden aus einer Fabrik moderne Wohnräume und Ateliers. Bild: Alice Hollenstein

Genügend Wohnraum, mehr Mobilität und gleichzeitig mehr Lebensqualität. Die Stadtplanung ist heute herausfordernder denn je. Und wie schafft man Identität in neuen Quartieren? Unterstützen kann dabei die Urban Psychology, welche sich mit dem Erleben und Verhalten der Menschen in Städten befasst.

Moderne Städte entwickeln sich nicht mehr zufällig. Die Konzepte dafür, wie wir leben, werden in einem langwierigen Prozess erdacht, geplant und umgesetzt. Die Stadtplanung und -entwicklung beschäftigt dabei nicht nur Architekten und Politikerinnen. Als interdisziplinäre Tätigkeit braucht es unter anderem Fachwissen aus Kunstgeschichte, Geografie, Statistik, Verkehrsplanung und der Soziologie. Die Vielzahl an Fachgebieten fordert von den StadtplanerInnen ein gutes Management und auch einen offenen Blick für neue Strömungen und Ideen.

Eine neuere wissenschaftliche Disziplin aus diesem Bereich, die ihre Eigenständigkeit gefunden hat, ist die Urban Psychology – zu Deutsch Stadt- und Architekturpsychologie. Sie erforscht, wie Menschen auf ihre gebaute Umwelt reagieren, was gefällt und letztendlich wie Städte besser an den Menschen angepasst werden können. Gelehrt wird das Thema auch an der Universität Zürich. In dem entsprechenden Kompaktkurs unterrichtet die Psychologin Alice Hollenstein. Sie beschäftigt sich bereits seit 2012 intensiv mit dem Thema und gründete 2014 eine Consultingfirma in Zürich rund um die Urban Psychology. Sie berät Gemeinden und InvestorInnen bei der Entwicklung menschenfreundlicher Gebäude und Städte.

Hollenstein lehrt zudem an den Universitäten in Berlin, München und Venedig. «Die Leute sind oft erstaunt, wenn sie von dem Fach erfahren und finden es spannend, weil man im Alltag immer mit diesen Themen konfrontiert wird», erzählt die Dozentin im Gespräch. Der Universitätskurs soll dabei nicht nur Aufklärungsarbeit leisten, sondern auch die EntscheidungsträgerInnen befähigen.

Psychologin Alice Hollenstein

Die Psychologin Alice Hollenstein (40) ist Co-Geschäftsführerin des Centers for Urban & Real Estate Management (CUREM) an der Universität Zürich und Gründerin von Urban Psychology Consulting & Research. Bild: Marion Nitsch by Lunax

Die Wurzeln der Urban Psychology gehen dabei zurück auf den Bauboom der 1960er- und 70er-Jahre. In diesem Zeitraum entstanden auch in der Schweiz grosse Siedlungen, die letztendlich zu der Frage führten, wie ein menschengerechtes Bauen und Leben aussehen sollte. Während man damals noch mit Fragebogen und Beobachtungen wissenschaftlich forschte, kann die Urban Psychology heute auf moderne Technik zurückgreifen. So untersucht man mit Speichelproben auf hormoneller Ebene, misst mit Armbändern Puls und Hautwiderstand oder schaut per MRT direkt in das menschliche Gehirn. So können scheinbar subjektive Begriffe wie Schönheit oder Atmosphäre empirisch nachgewiesen werden.

Ordnung mit Vielfalt

Doch was gefällt den Menschen in einer Stadt? «Ein Strassenzug gefällt, wenn die Gebäude gewisse Ähnlichkeiten aufweisen und es verbindende Elemente gibt», sagt Hollenstein. Sei es im Baustil, bei den Höhen oder der Begrünung. «Aber trotzdem braucht es eine gewisse Variation zwischen den Gebäuden», fährt sie fort. Ordnung mit Vielfalt ist hier das Stichwort. Ebenfalls positiv auswirken kann sich der sogenannte «Mysteryfaktor», also wenn ein Ort die Menschen zum Entdecken einlädt. Und letztendlich mögen alle Begrünung sowie gepflegte Strassenzüge.

Am Beispiel der Zürcher Bahnhofsstrasse zeigen sich die positiven Aspekte der baulichen Vielfalt. Aber auch das Thema Crowding fliesst in die Bewertung ein, also wenn sich sehr viele Menschen an einem Ort aufhalten. Ab einem gewissen Punkt kann dies als störend empfunden werden. Dabei ist kein Quartier oder Strassenzug perfekt. Positiv sieht Hollenstein auch das Freilager in Albisrieden, welches bis 2016 seinen Wandel vom Industrie- zum Wohnquartier vollzog. «Wichtig ist Interessantes auf Augenhöhe, denn wir nehmen die Stadt unten wahr», sagt Hollenstein.

Freilager Zürich

Das Freilager Zürich möchte Wohnen, Gewerbe und Ökologie vereinen. Bild: Albin Hollenstein

Dabei sind die angeborenen Präferenzen unseres Gehirns nicht in Beton gegossen. «Erfahrungen und Erlerntes verändern die Bevorzugung von Merkmalen», erklärt Hollenstein. Und ergänzt ein Beispiel aus der Kunst – je mehr Wissen man dort über die Stile und MalerInnen hat, desto mehr kann sich die Wahrnehmung von Kunstwerken verändern. Wir lernen also ständig dazu, auch bei der Ästhetik.

Identitätssuche in der Agglo

Wenn neue Quartiere entstehen oder die vormalige Agglomeration langsam von der Stadt geschluckt wird, geht es oft auch um das Thema Identität. «Es ist etwas ganz Essenzielles, es bedeutet, zu wissen, wer man ist, absolut und in Relation zu anderen Menschen. Und die Umgebung hilft dabei, diese Identität zu spüren», erklärt Hollenstein. Wer sich stärker an das Quartier oder die Gemeinde gebunden fühlt, ist dann auch eher daran interessiert, sich politisch und gesellschaftlich vor Ort zu engagieren. Sei es nun die Teilnahme an der Gemeindeversammlung oder dass man Littering bei sich nicht akzeptiert.

Pop-up-Gemeinschaftsgarten

Wo früher ein Güterbahnhof war, entsteht heute ein Pop-up-Gemeinschaftsgarten. Bild: Alice Hollenstein

Die Veränderung im Grossen sei dabei ein besonders delikater Prozess. «Man muss im Dialog mit der Bevölkerung stehen, aufklären und ihnen auch raumökonomisches Wissen vermitteln», sagt Hollenstein. Ein aktuelles Beispiel ist dabei die Limmattalbahn, die seit Dezember auch Altstetten und Killwangen miteinander verbindet. Als Teil der Mobilitätswende braucht die neue Linie, durch die Zürich und der Aargau noch näher zusammenrücken, vor allem Akzeptanz. Nicht nur bei den StadtplanerInnen, sondern vor allem in der Bevölkerung. Und dabei kann auch die Urban Psychology als Disziplin ihren Beitrag leisten. «Ganz Zürich wird sich stark das Limmattal hinunter bewegen, auch, weil es die velofreundlichere Richtung ist als über den Berg nach Oerlikon», äussert Hollenstein.

Das Fenster zum Innenhof

Doch nicht nur die angestrebte Mobilitätswende beschäftigt die StadtplanerInnen. Auch die Nachhaltigkeit ist beim energieintensiven Thema Bauen entscheidend. «Im Moment sind wir noch sehr monofunktional unterwegs: In diesem Gebäude wird gearbeitet, in dem wird gewohnt und dort ist die Schule», erklärt die Psychologin. Die Bauten der Universität stehen etwa das halbe Jahr über leer. Für ein ökologischeres Leben müsse man auch die Flächennutzung von Gebäuden erhöhen.

Das geht sowohl im Grossen als auch im Kleinen. «Ich glaube, gerade in der Immobilienverwaltung und im Betrieb gibt es grosses Potenzial, um die Stadt menschenfreundlicher zu machen», sagt Hollenstein und nennt dazu gleich ein Beispiel aus ihrem Leben. Zürcher Innenhöfe, die vor allem aus Parkplätzen und Zäunen bestehen, tun wenig für die Lebensqualität der AnwohnerInnen. Hier müsse man beim Regelwerk nachbessern, um den Menschen die Innenhöfe zurückzugeben. Dafür braucht es auch Anreize, wie es zum Beispiel die Stadt Kopenhagen gemacht hat. Dort entstanden in vielen Innenhöfen Grünflächen mit hoher Aufenthaltsqualität sowie Spielplätze für Kinder. «Man kann auch ohne grosse bauliche Intervention viel Qualität schaffen», ist sich Hollenstein sicher.

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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