Alltag

Einen Schritt weiter zur Mobilitätswende

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Gemeinsam die Zukunft gestalten mit dem Starterkit von Schrittmacher.in. Bild: Schrittmacher.in / Oliver Maier

Die neue Plattform Schrittmacher.in will das Thema Mobilitätswende in der Schweiz vorantreiben. Mit Rezepten und Ideen sollen vor allem die kleineren Städte und Gemeinden unterstützt werden, damit wir uns in Zukunft effektiver fortbewegen.

Die Schweiz investiert pro Jahr 1,2 Prozent seines BIP in die Infrastruktur und damit weit mehr als das Gros der europäischen Nachbarn. Die umfangreichen Investitionen in Strassen- und Schienennetz benötigen nicht nur eine langfristige Planung, sondern fördern auch die Diskussion, wie wir in Zukunft leben und uns fortbewegen möchten.

So hat etwa die Stadt Zürich eine erste Vision für ihren Masterplan HB/Central vorgestellt. Eines der Konzepte verwandelt den wichtigsten Verkehrsknoten der Stadt in eine Flaniermeile. Grünflächen, Tramstationen und Velotunnel anstelle von Autos. Das zuständige Atelier des Vorschlags spricht dabei vom Aufräumen und dem Nutzen des Potenzials des öffentlichen Raums um den Hauptbahnhof.

Rezepte zum Selbermachen

In den Schweizer Grossstädten ist die Mobilitätswende bereits ein gegenwärtiges Thema. Hier gibt es E-Scooter an jeder Ecke, Carsharing in Gehreichweite, Pop-up-Velowege und erste Versuche mit Mobility-as-a-Service-Apps. Damit zukunftsfähige Ideen und Verkehrsmöglichkeiten überall in der Schweiz möglich werden, setzt sich seit diesem Jahr die Plattform Schrittmacher.in ein. Dabei handelt es sich um einen losen Zusammenschluss von Akteuren der SBB, Metron Verkehrsplanung, ZHAW, Q Perior und urbanista.ch.

Mit einem Rezeptebuch möchte man vor allem den kleineren Städten und Gemeinden eine Hilfe an die Hand geben, um sich mit dem Thema Mobilitätswende vertiefter zu befassen. Gleichzeitig soll die Plattform als Austauschmöglichkeit für neue Ideen und erfolgreiche Umsetzungen dienen.

Das Starterkit deckt dabei von E-Mobilität über Sharingangebote und Fussverkehr bis zur aktiven Nutzung von Räumen ein vielfältiges Themenfeld ab. «Es gibt viele Gemeinden, die sich mit dem Thema Mobilitätswende noch wenig beschäftigt haben und jetzt vor der Frage stehen, wie sie diese angehen sollen. Denn das Thema Nachhaltigkeit wird immer relevanter für sie», erklärt Tobias Bowald, Mitgründer von Schrittmacher.in und Mobilitätsexperte bei Q Perior.

Mitfahrbänggli und weniger Parkplätze

Die Idee für das Projekt reifte im Sommer 2021. Bis April arbeitete man an dem Schriftstück und holte sich dafür aktiv Feedback von den Gemeinden. «Sie brauchen Ansätze, die sie schnell und unkompliziert umsetzen können, um rasch erste Erfolge zu erzielen. Denn der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit in der kommunalen Mobilität ist bereits vorhanden», erzählt Bowald. Langwierige politische Prozesse wie aktuell der Zürcher Kampf um Parkplätze möchte man dabei umgehen.

Neben Schweizer Gemeinden wurde das gedruckte Starterkit der SchrittmacherInnen ebenfalls nach Deutschland und Österreich versendet. Auch mit dem Start der Website ist man zufrieden. «Bereits in den ersten Tagen hatten wir über 1000 Aufrufe. Was schon erstaunlich dafür ist, dass wir im kleinen Rahmen gestartet sind», sagt Bowald. Zudem gab es viel Lob aus der Branche.

Bowald Schrittmacher.in

Tobias Bowald ist Mobilitätsexperte bei Q Perior und seit knapp zehn Jahren im Entwicklungs- und Innovationsumfeld in der Mobilitätsbranche tätig. Bei Schrittmacher.in setzt er sich für eine klimaneutrale Mobilität der Zukunft ein. Bild: zVg

Ein aktuelles Beispiel, welches bereits auf Schrittmacher.in geteilt wurde, ist das Mitfahrbänggli für das Klöntal im Kanton Glarus. Durch die Mitfahrgelegenheit in Form von öffentlichen roten Bänken, an denen Personen warten und von Fahrzeugen mitgenommen werden möchten, soll sich die Zahl der Autos im Klöntal reduzieren. Denn auch in diesem Jahr wird die Zufahrtsstrasse ins Klöntal für Fahrzeuge gesperrt, sobald dort alle Parkplätze belegt sind. Weniger Verkehr und genügend Platz für eine Rettungsachse sind die Ziele der Gästelenkung.

Mitmachen können auf der Website übrigens alle. Die eigenen Rezepte werden sofort hochgeladen und veröffentlicht. So kann selbst die kleinste Gemeinde ihre Idee präsentieren. Einige Rezepte werden aber auch von den GründerInnen hochgeladen. So gibt es etwa in Wien eine neue Ikea-Filiale, die mitten in der Stadt liegt und auf Parkplätze verzichtet. «Mit einem entsprechenden Konzept kann man auch einen solch verkehrsintensiven Laden in einem dichtbesiedelten Raum überführen», erklärt Bowald.

Aufmerksamkeit für Debatten

Aktuell arbeitet man auch am Konzept für eine Schrittmacher.in-Woche. «Eine Art Bootcamp für Gemeinden, in dem man Projekte wirklich vorantreiben kann in einem abgesteckten zeitlichen Rahmen und mit fachlicher Unterstützung», erzählt Bowald. Damit es nicht nur bei der Lektüre bleibt, sondern die Rezepte auch wirklich umgesetzt werden, seien gemeinsame Events hilfreich.

Kommerzielle Interessen oder konkrete Nutzungszahlen stehen laut Bowald nicht im Fokus der Plattform. «Unser Ziel ist, die Schweizer Mobilität nachhaltig zu machen. Dafür wollen wir möglichst viele EntscheiderInnen aus dem Bereich der Verkehrs- und Raumplanung auf unser Starterkit aufmerksam machen», so der Mobilitätsexperte. Dabei sei es wichtig, Mobilität und Verkehr als getrennte Konzepte zu betrachten: «Mobilität beschreibt ein menschliches Bedürfnis, welches man möglichst bequem erledigen will. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass dabei Verkehr entstehen muss», so Bowald weiter. Mit einer durchdachteren Raumplanung könnten also viele Bedürfnisse lokal erfüllt werden, am besten in Gehreichweite.

Zürcher Bahnhofplatz

Kein Auto in Sicht am Zürcher Bahnhofplatz. Bild: Team Van de Wetering

«Eine Stärkung des Langsamverkehrs bedeutet auch immer, dass der ökonomische Output in einem kleineren Wirtschaftsraum grösser ausfällt», erklärt Bowald einen der Vorteile. Zum Beispiel wenn die Fahrt ins nächste Einkaufszentrum nicht immer notwendig ist. Es hätte am Ende also auch finanzielle Vorteile für die Gemeinden und Städte, wenn ihre BürgerInnen das Geld «zuhause» ausgeben und damit lebendigere Lebensräume entstehen.

Zukunftspläne

Politische Grundsatzdiskussionen möchte man mit dem Starterkit zwar lieber umschiffen, aber man könne sich der politischen Debatte trotzdem nicht entziehen. In der Schweiz wird heute rund ein Drittel der Fläche für Verkehrsinfrastruktur genutzt. «Dieses Drittel wird zunehmend unter Druck geraten. Es wird eine Verschiebung von platzintensiven zu platzsparenderen oder effizienteren Verkehrsmitteln geben», prophezeit Bowald.

Es sei wichtig, diese Prozesse jetzt anzustossen, da die Mobilitätswende sich nicht von heute auf morgen umsetzen lässt. «Es heisst immer, schaut mal wie gut es die VelofahrerInnen in den Niederlanden haben. Aber dem ging ein gesellschaftlicher und politischer Prozess von mehreren Jahrzehnten voraus, der das Velo dort zum dominanten Verkehrsmittel gemacht hat», erklärt der Mobilitätsexperte. In der Schweiz stehe man noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. Aber zum Beispiel durch E-Bikes werden schon jetzt neue Bevölkerungsgruppen und Nutzungsformen für das Velo erschlossen. Doch selbst die E-Bikes sind nur eines der Rezepte für die Mobilitätswende.

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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