Natur

Achtsames Spazieren in der Natur

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Das Verweilen in der Natur regt die Selbstheilungskräfte des Körpers an. Bild: sak

Die Zeit in der Natur kommt heutzutage bei vielen Menschen deutlich zu kurz. Dabei kann ein achtsamer Spaziergang im Wald das körperliche und seelische Wohl deutlich steigern. Um die Sinne neu zu erleben, können ausserdem verschiedene Achtsamkeitsübungen ausprobiert werden.

Ein Vogel zwitschert vergnügt, der Schnee knirscht unter den Füssen, es duftet nach Fichtennadeln und etwas Grünem, Erdigem. Im Wald angekommen, scheinen die Alltagssorgen weit weg. Präsent ist, was sich gerade vor der Nase befindet. Solches achtsames Spazieren, Waldbaden genannt, tut nicht nur im Moment gut, es kann auch nachhaltige Veränderungen im Körper sowie in unserer Wahrnehmung bewirken.

Beim Waldbaden handelt es sich primär um eine Auseinandersetzung mit den Sinnen. Was ist im Wald zu hören, zu sehen, riechen und ertasten? Durch bewusstes Atmen und Ankommen im Hier und Jetzt kann der Stresspegel langfristig deutlich gesenkt werden. «Im Grunde ist Waldbaden achtsamkeitsbasiertes, ganzheitliches Gesundheitstraining in und mit der Natur», erklärt die Naturmentorin und Achtsamkeitstrainerin Maralina Arslan-Bobst. Sie begleitet Menschen dabei, durch die unterstützende Kraft der Natur zur Lösung für ihre Herausforderungen zu gelangen. «Durch die Achtsamkeits- und Körperübungen, Sinnesaktivierungen und Meditationen im Wald kriegen wir eine wohlverdiente Pause vom hektischen, reizüberfluteten Alltag.»

Auf die Sinne achten

So werde allein schon das Auge durch Videos und zahlreiche Bewegungen, wie sie zum Beispiel mitten in der Stadt in Form von Verkehr und Menschenmengen präsent sind, überlastet. Das statische Bild der Naturlandschaft bietet dem Sehsinn hingegen eine Pause. Durch das Achten darauf, welche Texturen die Baumrinde hat, welche verschiedenen Brauntöne hin und wieder unter der Schneedecke hervorgucken, kann man bewusst den Sehsinn wahrnehmen.

Spinnennetz Wald

Wer genau hinschaut und -hört, tut seinem Gehirn Gutes. Bild: zVg

Auch in den Alltag können solche Übungen mit etwas Training leicht eingebaut werden, um hin und wieder zu entschleunigen. Zum Beispiel kann man sich aufs Gehör konzentrieren, indem man die Augen schliesst und die Laute um sich herum bewusst wahrnimmt. Dabei achtet man darauf, aus welcher Richtung und Entfernung die Geräusche kommen und stellt sich vor, wie und wo man sie auf einer Karte kennzeichnen würde.

Dieses naturnahe Achtsamkeitstraining stammt ursprünglich aus Japan, wo es unter dem Namen Shinrin Yoku bekannt ist, was wortwörtlich Waldbaden bedeutet. Im Land der aufgehenden Sonne beschäftigt sich auch die Forschung mit den mentalen und physischen Auswirkungen von Waldbaden auf den Menschen. So konnte auch auf der körperlichen Ebene wissenschaftlich festgestellt werden, dass Shinrin Yoku stressreduzierend wirkt und die Stimmung aufhellt. Deswegen wird Waldbaden in Japan bei psychischen Beschwerden zum Teil sogar medizinisch verschrieben.

Die Superkraft der Waldluft

Während Achtsamkeitsübungen das Entschleunigen begünstigen, hat der Aufenthalt im Wald auch ohne sie eine positive Wirkung auf den Körper und das Gemüt. Das liegt zum Grossteil an der frischen Waldluft, die voller Phytonzide ist. Dabei handelt es sich um flüchtige organische Verbindungen, die von Pflanzen ausgestossen werden. Ihre primäre Funktion ist, die Pflanzen vor Bakterien, Pilzen und Insekten zu schützen.

Wenn der Mensch die Waldluft mitsamt Phytonzide einatmet, kommt er zur Ruhe, sein Blutdruck wird gesenkt und die Aktivitäten seines präfrontalen Kortexes im Gehirn werden gehemmt. Der präfrontale Kortex ist als Arbeitsgedächtnis bekannt, er übernimmt die Planung von Vorhaben, löst aktuelle Probleme und steuert Handlungen. Er ist also der Teil des Gehirns, der im Alltag besonders angestrengt wird und entsprechend etwas Ruhe gebrauchen kann.

Pilze Waldboden

Auf dem Waldboden gibt es viele Details zu entdecken. Bild: zVg

Selbst für die präventive Bekämpfung von Krebszellen ist Waldbaden ein wirksames Mittel. So helfen die Phytonzide dem Körper, die natürlichen Killerzellen in der benötigten Menge zu produzieren. Diese Killerzellen sorgen dafür, dass kaputte, krebserregende Zellen abgebaut werden. Der Effekt, dass deren Produktion erhöht wird, dauert bis zu einer Woche nach dem Waldbesuch an.

Ebenfalls stärkt Waldbaden auf diese Weise die Herzfrequenzvariabilität. Damit ist gemeint, dass das Herz mühelos die Zeitabstände zwischen Herzschlägen ändern kann. Hat das Herz eine eher hohe Herzfrequenzvariabilität, kann es besser mit mentalem und körperlichem Stress umgehen. Überdies senken die Phytonzide die Produktion des Stresshormons Cortisol, das Körper und Geist schwächt, wenn es in zu grossen Mengen produziert wird.

Shinrin Yoku im Park

Es braucht freilich nicht zwingend einen Wald, um Shinrin Yoku zu praktizieren. Wenn man einige Achtsamkeitstechniken beherrscht, reichen im Grunde ein paar Bäume im Park oder Garten aus, um die Wirkung des Waldbadens zu geniessen. In den Bergen, auf einer Wiese oder auch mitten in einer Auenlandschaft können die Übungen angewendet werden. «Bereits auf dem Weg von der Haustür zum Parkplatz oder zur Busstation hat man zahlreiche Möglichkeiten, die Natur achtsam zu erleben», erklärt Arslan-Bobst. Wer sich nicht gewohnt ist, im Geiste des Shinrin Yoku auf seine Sinne und Bedürfnisse zu achten, dem sei ein achtsamer Spaziergang mit einer geführten Gruppe mitten in der Natur zu empfehlen. Durch die Anleitung der Kursleiterin bleibt man präsent und achtet auf die Sinne, ohne sich von den eigenen Gedanken ablenken zu lassen. «Solche «Rauszeiten» sind wichtig, um vom Tun-Modus in den Sein-Modus zu kommen und eine ganzheitliche Regeneration von Geist und Körper zu geniessen», erläutert sie.

Naturfreundin Maralina Arslan-Bobst

Naturfreundin Maralina Arslan-Bobst fühlt sich im Wald zuhause. Bild: zVg

Für das wirkungsvollste Waldbad wird wärmstens empfohlen, das Mobiltelefon und sonstige elektronischen Geräte zu Hause zu lassen. «Wenn wir gar keinen Anreiz für Ablenkung schaffen, schalten wir schneller und gänzlicher ab», sagt die Chamerin. Ebenfalls sei es wichtig, sich dem Wetter entsprechend anzuziehen, denn wenn man kalt hat oder nasse Füsse kriegt, macht das Waldbaden nicht halb so viel Spass.

Winterpause für die Seele

Besonders während der kalten Jahreszeit empfiehlt Arslan-Bobst Shinrin Yoku: «Durch unsere Kultur sind wir geprägt, stets zu arbeiten und nur hin und wieder kürzere Pausen einzulegen.» Doch sei es wichtig, sich selbst eine Art von Winter zu gönnen – eine Zeit, während der man das Jahr Revue passieren lässt und sich eine gründliche Auszeit gönnt. Da längere Ferien im Winter nicht für alle möglich sind, eignet sich das Waldbaden gut als Alternative.

«Wer sich gerade in einer Umbruchphase befindet oder spürt, dass eine grosse Veränderung in seinem Leben nötig ist, kann im Wald Kraft tanken und so die Naturverbindung zur eigenen, inneren und äusseren Natur stärken», ergänzt die Naturmentorin und Coachin. Wenn etwas nicht in Ordnung zu sein scheint, obwohl man nicht genau sagen kann, woran es einem fehlt, kann etwas Zeit im Wald Klarheit und Identität schaffen, wie auch Stärke geben. Gleichzeitig können auch bereits naturverbundene Personen vom Waldbaden profitieren, da sie die Qualitäten der Natur auf eine neue Art erleben können.

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Wenn ich nicht gerade an einem Artikel für FonTimes schreibe, kann man mich beim Lesen, Zeichnen und natürlich beim Yoga erwischen. Als gelernte Übersetzerin begeistere ich mich für Sprachen und bin immer für eine Tasse Tee zu haben.
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