Bildung

Lebensgeschichten in digitalen Zeitkapseln

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Der gegenseitige Austausch half beim Erzählen der eigenen Geschichten. Bild: zVg

Ältere Menschen erzählen ihre Lebensgeschichten und halten diese digital fest. Dadurch sollen sie besser ins gesellschaftliche Leben integriert werden: Das Projekt HiStory der Hochschule Luzern verbindet Technik mit sozialen Aspekten.

«Niemand hat so viel zu erzählen wie ältere Menschen, die viel erlebt haben. Und Geschichten wiederum sind bestens dafür geeignet, ältere Menschen zu integrieren», sagt Andrew Paice, Leiter des iHomeLabs der Hochschule Luzern. Diese Überzeugung liegt dem Projekt HiStory zugrunde, hinter dem neben dem iHomeLab fünf internationale Partner stehen (siehe Box).

Ziel des Projekts ist es einerseits, spannende Geschichten digital festzuhalten und auf der anderen Seite soll durch ein gemeinsames Geschichtenerzählen verhindert werden, dass betagte Menschen vereinsamen: In moderierten Gruppen erzählen sie sich Geschichten aus ihrem Leben zu einem bestimmten Thema, arbeiten an diesen Erzählungen und zeichnen sie schliesslich in «digitalen Kapseln» auf.

Das iHomeLab

Das Team des iHomeLabs der Hochschule Luzern – Technik & Architektur erforscht unter der Leitung von Andrew Paice unter anderem, wie dank intelligenten Gebäuden der Energieverbrauch gesenkt oder älteren Menschen ein längeres Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht werden kann. Die Resultate der Forschungsprojekte werden im iHomeLab-Visitorcenter auf dem Campus Horw präsentiert und auf verständliche Weise erklärt. 

Selbstvertrauen durchs Erzählen

Orte aus der Kindheit, die mittlerweile verschwunden sind, das Leben, bevor es Smartphones und GPS gab oder das Aufwachsen in den Nachkriegsjahren: Dies sind nur einige der Themen, über die Teilnehmende erzählen. In einer Gruppe über Momente des eigenen Lebens zu reflektieren und Geschichten darüber zu erzählen, gebe insbesondere älteren Menschen Selbstvertrauen und ein Gefühl für den Wert der eigenen Geschichte, weiss Paice. Darüber hinaus schafft das Treffen mit anderen zum Zwecke des Geschichtenerzählens Sozialkontakte und macht Spass. Doch auch für die Empfängerinnen und Empfänger der digitalen Kapseln können die Geschichten ein Gewinn sein: Familienmitglieder und Fremde erfahren dadurch mehr und Authentisches über vergangene Zeiten und die eigenen Verwandten. 

Technisch gesehen handelt es sich bei HiStory um ein sehr niederschwelliges Programm, das es ermöglicht, die Geschichten aufzuzeichnen, zu überarbeiten und schliesslich für andere freizugeben. Die Web-App dafür haben Forschende des iHomeLabs entwickelt. Ob die Geschichten öffentlich zugänglich sind oder nur für Familie und Freunde oder gar ganz privat sein sollen, darüber entscheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihre eigenen Geschichten selber und für die ganze Kapsel gemeinsam. Paice bezeichnet diese Einstellungsmöglichkeit als wichtige Funktion.

Zusammenspiel von Emotion und Technik

Das Geschichtenerzählen erfolgt moderiert. Dafür entwickelte das Forschungsteam Leitfäden und Werkzeuge, die den Moderierenden helfen, Erzählrunden zu koordinieren und die Erzählenden in allen Schritten zu unterstützen. Die Moderatorin oder der Moderator gibt ein Thema vor, dem sich die älteren Menschen zunächst in einer grösseren Runde nähern. Anschliessend erzählen sie sich Geschichten in kleineren Gruppen, zeichnen sie auf, verbessern sie mithilfe von gegenseitigen Rückmeldungen und schliesslich entscheidet die Gruppe, welche Geschichten in die Kapsel aufgenommen werden. «Wir haben nicht nur ein technisches Tool entwickelt, sondern einen Prozess», fügt Paice hinzu. 

Das Team konnte in verschiedenen Versuchsrunden die Reaktionen der Teilnehmenden beobachten. «Zuerst war da oft ein Erschrecken – vor der Technik, aber auch davor, eine Geschichte in eine definitive Form zu bringen. Dann stellte sich Stolz ein, dass es klappte, und oft wollten die Personen gar nicht mehr aufhören», erzählt Paice und betont, es sei das fliessende Zusammenspiel von Analog und Digital, von Emotion und Technik, das die Besonderheit von HiStory ausmache. «Die Technik ist dabei Mittel zum Zweck. Aber trotzdem ist sie zentral, damit das Ganze funktioniert.»

Für andere Zwecke einsetzen

Die Technik könnte auch für andere Zwecke eingesetzt werden, ist Paice überzeugt: In der Schule, wenn Schülerinnen und Schüler ihr Umfeld zu einem Thema befragen, in Museen oder für Stadtrundgänge. «Hier liessen sich zum Beispiel Kapseln einrichten, die man nur an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit hören kann», spinnt Paice die Ursprungsidee weiter. Denn Geschichten haben eine ganz eigene Überzeugungskraft, die sie in den verschiedensten Zusammenhängen entwickeln können.

Die Geschichten sind hier zu hören.

Eine internationale Zusammenarbeit 

Das Projekt entstand durch eine Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Schweiz, Österreich und der Niederlande. Dies, da es Expertise verschiedenster Art brauchte, damit Analog und Digital fliessend zusammenwirken konnten.

- Das iHomeLab der Hochschule Luzern entwickelte die Web-App und koordinierte das Projekt mit. 

- Vicino Luzern war zuständig für Benutzertests und Co-Creation.

- NOUSdigital koordinierte das Projekt und stellte das Contentmanagementsystem zur Verfügung.

- Das Austrian Institute of Technology agierte als Forschungspartner für Endnutzerbelange.

- Studio Dankl zeichnete sich für die analogen Prozesse verantwortlich.

- IJsfontein übernahm das Design und die Webseite.

- Die Gemeinde Zutphen war einer der holländischen Benutzerpartner.

- Nationaal Ouderen Fonds war einer der holländischen Benutzerpartner.
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