«Eine gute Work-Life-Balance kann Depressionen minimieren»

Psychologe Leo Hackl im Interview

Der Psychologe und Lebenscoach Leo Hackl erklärt im Interview, was Depressionen sind, was erste Vorboten sein können und wie man präventiv etwas dagegen tun kann.

Leo Hackl, was genau ist eigentlich eine Depression? Was ist charakteristisch?

Es gibt viele Erscheinungsbilder für eine Depression. Es gibt leichte, mittelgradige und schwere Depressionen, das Internet ist voll davon. Das verführt zur Selbstdiagnose, was nicht zu empfehlen ist, da Diagnosen selbst zur Ursache werden können. Charakteristisch ist meist eine grundlose Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Verlust der emotionalen Beteiligung am Umfeld, Verlust von Interesse an Dingen, die vorher wichtig waren wie Freizeitaktivitäten, Sozialkontakte, Sex, die Familie, der Beruf, sich selbst und seine Umgebung vernachlässigen.

Gibt es heute mehr Depressionen als früher?

Das scheint so, ist aber schwer zu belegen. Die Diagnosemethoden haben sich geändert, es wird häufiger diagnostiziert. Die Depression ist zudem nicht mehr so tabuisiert wie früher, man steht eher dazu, weshalb ebenfalls der Eindruck entsteht, sie sei häufiger geworden.

Was sind erste Anzeichen einer Depression?

Wir stehen morgens ja alle manchmal nicht so leicht auf und wären froh, das Wochenende würde noch etwas länger dauern. Wenn das aber chronisch wird und jemand sich morgens kaum noch aus dem Bett bewegen mag, kann das ein Vorbote sein.

Jeder ist mal ein paar Tage schlecht drauf, hat keine gute Laune. Ab wann sollte man sich Sorgen machen und Hilfe suchen?

Ja, das ist normal. Bei schwerem Verlust, zum Beispiel einer nahestehenden Person, kann der Zustand auch länger anhalten. Man spricht von reaktiver Depression, die wieder vorübergeht. Wenn es sich aber durch kein Ereignis begründen lässt und wie oben beschrieben länger anhält und sich noch verstärkt, dann sollte man Hilfe suchen.

Sind alle Menschen gleich anfällig für Depressionen oder gibt es Menschen, die schneller depressiv werden?

Forschungen haben Erstaunliches gezeigt. Sehr empathische und selbstlose Menschen sind eher der Gefahr ausgesetzt, eine Depression zu entwickeln. Und Frauen werden doppelt so oft depressiv diagnostiziert wie Männer.

Leo Hackl Thalwil

Leo Hackl bietet seit über 20 Jahren psychologische Beratung in Thalwil an. Bild: zVg

Kann man präventiv etwas gegen Depressionen bewirken?

Eine gute Work-Life-Balance scheint tatsächlich Depressionen zu minimieren. Es ist also nicht zu empfehlen, mehreren Berufen gleichzeitig nachzugehen und dabei Freizeit und Familie zu vernachlässigen. Zur Kunst der Arbeit gehört auch die Kunst der Erholung. Viel Arbeit ist noch kein Grund für eine Depression. Wenn die Arbeit jedoch ungeliebt ist und vor allem wenn man sie nicht selber gestalten kann, sollte man das Leben ändern. Auch ein Mehrfrontenkrieg sollte vermieden werden. Ein oft unbeachtetes Feld, das zur Berufstätigkeit hinzukommen kann und dadurch eine zusätzliche Front eröffnet, kann eine gestörte Beziehung sein.

Ich habe die Vermutung, dass jemand, der mir nahesteht, depressiv sein könnte. Wie kann ich das ansprechen?

Am besten offen ansprechen: Ich mache mir Sorgen, ich habe den Eindruck, es geht dir zurzeit nicht gut. Kein Mitleid signalisieren, es zieht noch mehr hinunter, sondern Verständnis für den veränderten Zustand zeigen und Geduld haben.

Sollte man professionelle Hilfe organisieren, wenn der Erkrankte es nicht selbst tut?

Bei einer schweren Depression wird es der Erkrankte nicht tun. Er ist hoffnungslos und glaubt nicht, dass ihm irgendjemand helfen könnte. In diesem Fall sollte man die Initiative ergreifen, denn es besteht die Gefahr eines Suizids.

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