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Das Testament als Wunscherfüllung

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Das Start-up bietet auch Unterstützung beim Testament. Bild: Bild: djedzura / Depositphotos

Das neue Schweizer Erbrecht gibt den Menschen mehr Freiheiten bei der Verteilung ihres Besitzes. Davon profitieren möchte auch ein Luzerner Start-up. Eine Plattform namens Wunscherbe soll Menschen helfen, Notsituationen zu überstehen oder Träume zu verwirklichen.

Die Schweiz zählt zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Ob beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf oder beim durchschnittlichen Vermögen spielt man sowohl europäisch als auch weltweit ganz oben mit. Wo die Schweiz aber wirklich spitze ist, ist beim Thema Erben. So wurden im Jahr 2022 schätzungsweise 88 Milliarden Franken vererbt oder verschenkt. Das sind sieben Milliarden mehr als der gesamte Bundeshaushalt eben jenes Jahres. Dabei hat sich die Erbschaftssumme in den letzten 30 Jahren fast verfünffacht, wie eine Studie der Zürcher Kantonalbank zeigt. Natürlich ist in diesen drei Jahrzehnten auch die Schweizer Wirtschaft gewachsen, das BIP hat sich zum Vergleich jedoch nur verdoppelt.

Das Durchschnittserbe liegt dabei aktuell bei 147‘000 Franken, wie das SRF berichtete. Während eher kleinere Erbschaften oft für Häuser, Autos und den Konsum genutzt werden, stellt sich gerade für wohlhabende Menschen die Frage: Wohin mit dem ganzen Geld? In den Sinn kommen gemeinnützige Organisationen und Stiftungen, die sich ganzjährig um Spenden bemühen. Durch die Digitalisierung und Crowdfunding-Plattformen gibt es aber immer mehr Einzelpersonen, die in Notsituationen öffentlich um Unterstützung bitten.

Freiwillige Umverteilung

All diese Akteure vereint das Luzerner Start-up Wunscherbe. Die Online-Plattform versucht seit Januar 2023, Spendende und Spendensuchende zusammenzubringen. Für eine jährliche Gebühr können Personen, Start-ups sowie gemeinnützige Organisationen ein Profil erstellen und erklären, warum sie eine Geldzuwendung benötigen. Die persönlichen Geschichten reichen dabei von Schulden über Krankheiten in der Familie, oft verbunden mit dem Verlust der Arbeit, bis hin zum unerfüllten Lebenstraum. Neben bekannten Organisationen wie dem SOS-Kinderdorf Schweiz suchen auffällig viele alleinerziehende Mütter hier nach Unterstützung. In den ersten sieben Monaten wurden bereits 80 verschiedene Profile auf Wunscherbe.ch eröffnet.

Macbook auf Tisch, Wunscherbe auf Display

Auch ältere Personen surfen laut Mitgründer Kaeser auf Wunscherbe.ch. Bild: zVg

Silvan Kaeser, der in Luzern eine Werbeagentur betreibt, gehört zu den drei Mitgründern von Wunscherbe. Seine beiden Geschäftspartner Lars Dubach und Urs Rindlisbacher sind als Anwalt, beziehungsweise Treuhänder aktiv. Bei einem gemeinsamen Bier sprachen die drei Kollegen über Erbschaftsstreits und die zahlreichen Spendenaufrufe von gemeinnützigen Organisationen in der Weihnachtszeit. «Diese Spenden machen Sinn, aber warum nicht auch Privatpersonen, Firmen oder Start-ups unterstützen?», erzählt Kaeser.

Zeitgleich mit dem neuen Schweizer Erbrecht, welches dieses Jahr in Kraft getreten ist, startete auch Wunscherbe in der ersten Januarwoche. Neu reduziert sich der Pflichtanteil für Verwandte und gibt dem eigenen Testament entsprechend mehr Spielraum. Aufgrund der revidierten Regelung müssen auch alte Testamente angepasst werden, da sie sonst einklagbar sind. Zur Unterstützung bei der Testamentsaufsetzung gibt es bei Wunscherbe über 60 kostenlose Vorlagen – inklusive der nötigen Erklärungen, um Missinterpretationen zu vermeiden. Auch wenn es keine genauen Zahlen dazu gibt, hat die Mehrheit der SchweizerInnen wohl kein Testament.

In der Vermittlerrolle

Die Erstellungsgebühr der Profile ist übrigens der einzige Umsatz, den Wunscherbe erzielt. «Wir werden mit dem Start-up wahrscheinlich nie Geld verdienen, aber das ist in Ordnung. Für uns ist es ein karitatives Projekt», sagt Kaeser. Als Plattform dient Wunscherbe lediglich für den Erstkontakt zwischen den potenziellen Erben und Spenderinnen. «Wir haben uns bewusst aus der Gleichung herausgenommen und in die Vermittlerrolle begeben», erklärt er. Wäre das Start-up direkt an den Transaktionen beteiligt, würde es unter das Bankengesetz fallen. Aus diesem Grund hat das Unternehmen keine genauen Zahlen dazu, wie viel vererbt oder gespendet wird. «Die Spendenden entscheiden selbst, welches Projekt zu ihnen passt», so der Mitgründer weiter. Ab und zu gebe es allerdings schon Feedback, in welchen Erbplanungen man aktuell berücksichtigt werden soll.

Mitgründer Silvan Kaeser

Silvan Kaeser ist der Inhaber der Luzerner Werbeagentur StadtHirsch. Bild: zVg

Die Spendenoption wurde nachträglich zur Plattform hinzugefügt und richtet sich speziell auch an Unternehmen, die vor allem am Jahresende etwas von ihrem Gewinn zurückgeben wollen. «Bei uns kann man wirklich Spendensuchende gezielt aussuchen, das Telefon in die Hand nehmen und die Person kontaktieren», sagt Kaeser. Diese Art der direkten Unterstützung spricht die Menschen auf eine andere Art an als eine Spende an eine grosse Organisation, bei der es schwieriger ist, ein konkretes Resultat der eigenen guten Tat zu sehen.

Die persönlichen Lebensgeschichten der Menschen auf der Plattform haben auch Kaeser selbst schon berührt. «Wir denken immer: Uns in der Schweiz geht es gut. Aber auch hier gibt es Menschen, die grosse Probleme haben», erzählt er. So fliessen schon mal Tränen auf der anderen Seite des Telefons, wenn es um schwere Krankheiten und den Verlust der Einkommensquellen geht. «Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass Menschen in der Schweiz wirklich kein Geld haben», ergänzt der Gründer.

Erben als langjähriges Projekt

Wenn ein neues Profil aufgeschaltet wird, greifen die Gründer im Zweifelsfall auch selbst noch einmal zum Telefon. In sehr wenigen Fällen wurden Personen bereits abgelehnt. Sogar ein Trickbetrüger versuchte sich mit KI-generierten Bildern auf der Website, hatte jedoch bei Medienprofi Kaeser keine Chance. Das Verhältnis sowohl bei der Art der Profile als auch zwischen den Erbparteien gestaltet sich aktuell laut Kaeser sehr ausgeglichen. Als langfristig angelegtes Projekt soll Wunscherbe auch in Zukunft allen eine Plattform bieten. Zudem kann es mehrere Jahre dauern, bis man tatsächlich bei einem Erbe berücksichtigt wird.

Auf der Suche nach einem Erbe oder einer Erbin auf Wunscherbe

Zur Auswahl: echte Menschen mit echten Problemen. Bild: Screenshot Wunscherbe.ch

Mit seinem liberalen Erbrecht ermöglicht die Schweiz Plattformen wie Wunscherbe.ch überhaupt. Für Kaeser handelt es sich dabei um ein ausgewogenes System, von dem auch die ansässigen Hilfswerke und Stiftungen profitieren. «Ich finde es richtig, dass die, die wahnsinnig vermögend sind, eine hohe Erbschaftssteuer zahlen. Andererseits ist es auch wertvoll, wenn etwas weitergegeben werden kann, wofür man sein Leben lang gearbeitet hat», so Kaeser.

Für das Start-up lautet das Ziel, für den Rest des Jahres 2023 auf 100 Profile zu kommen. Mit einer neuen Aktion lockt man potenzielle KundInnen an, indem man ihnen ein halbes Jahr die Jahresgebühr schenkt. Diese beläuft sich übrigens auf 100 Franken für Privatpersonen und 300 Franken für Unternehmen und Stiftungen. Überdies sind für das Jahresende weitere Kampagnen geplant, um die eigene Reichweite zu steigern und die Plattform zu etablieren. «Wir stehen erst am Anfang und ich denke, die Plattform hat noch viel Potenzial», sagt Kaeser optimistisch.

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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