Gesundheit

Intelligente Unterstützung für die Ohren

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Auch die Sonova-Ingenieurin Ruksana Giurda (zweite von links) arbeitet am Projekt Darling. Bild: Thi My Lien Nguyen

Immer kleiner, immer leistungsstärker und in jedem unterstützungsbedürftigen Ohr. Hörhilfen erleichtern den Alltag, funktionieren aber längst nicht in jeder Situation gleich gut. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern möchte das Hörgerät mittels KI zum smarten Helfer machen.

Moderne Kopfhörer hören stets mit. Sie erkennen eine Bewegungssituation, filtern Störgeräusche heraus und schirmen uns von unserer Umwelt ab. Die dabei verbaute Hardware wird immer komplizierter und zugleich kompakter in der Bauweise. Die Technik lässt sich allerdings auch in die andere Richtung nutzen. So sind Mikroprozessoren, Mikrofone und eine Bluetoothverbindung zum eigenen Smartphone in Hörgeräten heute der Standard. Fast unsichtbar können sie so zum smarten Helfer im Alltag werden, der längst nicht nur Geräusche verstärkt.

In der Schweiz sind rund 15 Prozent aller Erwachsenen von einer Hörminderung betroffen, wie das Bundesamt für Statistik im Jahr 2017 ermittelte. Dazu gehört auch der altersbedingte Hörverlust, der meist im Alter ab 60 Jahren einsetzt und sich dann zunehmend verstärkt. Es ist ein gesundheitliches Problem, welches sich stark auf die Lebensqualität auswirkt und auch andere Beschwerden und Erkrankungen nach sich ziehen kann. Neben möglichen Stürzen durch einen gestörten Gleichgewichtssinn kann sich auch das Risiko für Demenz und Depressionen deutlich erhöhen, wenn ein Hörverlust nicht behandelt wird. Und nur rund ein Fünftel der Hörgeschädigten trägt tatsächlich auch eine Hörhilfe.

Ohr an Gehirn

Das menschliche Gehirn filtert für uns Geräusche von ganz allein heraus. Wichtige Töne werden schneller verarbeitet, irrelevante Sachen wie Verkehrslärm dagegen ausgeblendet. Hörhilfen können auf diesem Gebiet noch nicht mit Millionen von Jahren der Evolution mithalten. Rund um den Globus wird aber seit ein paar Jahren intensiv daran geforscht. Dafür braucht es vor allem Unmengen an Audiodaten, egal welchen Ansatz man bei der Programmierung der Hörhilfen verfolgt.

An der Hochschule Luzern (HSLU) arbeitet man zusammen mit dem Schweizer Hörsystemhersteller Sonova an einer künstlichen Intelligenz (KI), um Hörgeräte in Zukunft noch besser an die Bedürfnisse im Alltag anzupassen. Das Ziel: Am Ende soll die geschulte KI die akustischen Signale herausfiltern, die für den Menschen mit dem Hörgerät am Ohr am wichtigsten sind. Das Forschungsprojekt trägt dabei den Namen Darling – ein englisches Akronym, welches für das Erkennen und Reagieren der Zuhörabsichten steht.

Profilbild Simone Lionetti, blaues kariertes Hemd

Simone Lionetti forscht in Rotkreuz an Algorithmen. Bild: zVg

«In Situationen mit vielen Geräuschquellen ist es für Menschen mit Hörproblemen eine grosse Herausforderung, einem Gespräch zu folgen. Dieses Problem könnte erheblich verbessert werden, wenn wir wüssten, was der Zuhörende hören möchte», erklärt Projektleiter Simone Lionetti von der HSLU. Allerdings ist es eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe, aus menschlichem Verhalten stets die richtigen Hörabsichten abzuleiten. «Daher haben wir beschlossen, dass ein guter Ansatz darin bestehen würde, einen Algorithmus genau diese Schlussfolgerung aus sorgfältig gesammelten Daten lernen zu lassen», so Lionetti weiter. Ein Trainingsprogramm für eine KI also, damit diese später einmal in einer Hörhilfe die richtige Entscheidung für die jeweilige Situation trifft.

Audioerlebnis Restaurant

Da bestehende Forschungsdaten und die Datenbanken von Sonova nicht für das Trainieren der künstlichen Intelligenz ausreichten, zog es das Forschungsteam in das Real Life Lab von Sonova in Stäfa ZH. In dem Akustikstudio lassen sich mit Lautsprechern, Videowänden und Versuchspersonen verschiedene Alltagssituationen rekonstruieren – zumindest auf der Audioebene. «Die Situationen, die wir im Labor nachstellen, ähneln einem Besuch in einem Restaurant und anderen öffentlichen Räumen», erklärt der KI-Forscher am Campus Rotkreuz.

Klirrende Gläser, scheppernde Teller und Hintergrundgespräche in unterschiedlichen Lautstärken, während ganz hinten im falschen Restaurant vielleicht noch eine Kaffeemaschine ihre Arbeit verrichtet. Gemessen wird dabei die Reaktion der Teilnehmenden. «Es ist schwierig, Versuchspersonen dazu zu bringen, sich natürlich zu verhalten – sich zu bewegen, zu sprechen, zu interagieren – wenn sie wissen, dass sie aufgezeichnet werden», erzählt Lionetti über die Aufnahmesessions.

Hörlabor

Alltagssituationen lassen sich hier mit Lautsprechern nachstellen. Bild: Thi My Lien Nguyen

Um die kostbaren Audiodaten zu erstellen, verbrachte man bisher über einen Monat im Labor. Und weitere Aufnahmen sind noch in Planung. Am Ende entsteht aus der Laborsituation jeweils eine zweidimensionale Audiokarte. Und je mehr Alltagssituationen in die Datenbank wandern, umso genauer lässt sich damit anschliessend die KI trainieren.

Der Kontakt zwischen der Hochschule und den Audiospezialisten aus Stäfa war bereits vorher vorhanden. So etwa für ein Projekt zur akustischen Messung mittels mobiler Roboterplattformen. «Sonova unterstützt uns mit ihrem Hardware-Wissen, ihrer Expertise in der Audiologie und langjähriger Arbeit in der digitalen Signalverarbeitung, einschliesslich der KI-Anwendungen», so Lionetti.

Schritt für Schritt zur Wunsch-KI

Im Moment werden im Labor noch Testpersonen mit einem normalen Gehör eingesetzt. Damit soll gewährleistet werden, dass der Algorithmus korrekt funktioniert. Die Variation an Hörbehinderungen würde in dieser Forschungsphase für zusätzliche Komplexität sorgen, es ist aber definitiv ein geplanter Schritt hin zum KI-Prototypen. «Wir möchten jeden kleinen Schritt überprüfen, bevor wir den Weg fortsetzen», kommentiert der HSLU-Wissenschaftler den Forschungsplan.

Hörgerät in Hand von Forscherin

Hier drin soll die KI dann einmal zum Einsatz kommen. Bild: Thi My Lien Nguyen

Das Projekt wird finanziell von der Forschungsagentur des Bundes Innosuisse unterstützt, die mit rund 700’000 Franken die Hälfte des Budgets übernimmt. Gemäss der HSLU ist der Abschluss für 2024 geplant. «Wir streben eine funktionierende KI-Lösung an, aber um sie für die Produktion bereitzumachen, sind umfangreiche Tests erforderlich», sagt Lionetti, der aktuell keine genaueren Angaben zum Zeitplan machen kann.

Von der technischen Seite gibt es bestimmte Anforderungen, die ein entsprechendes Hörgerät erfüllen muss, um mit der Darling-KI kompatibel zu sein, aber insgesamt würde diese ein breites Spektrum an Geräten abdecken. Und eine künstliche Intelligenz, die gezielt hinhören und Geräusche priorisieren kann, wäre auch für andere Anwendungen äusserst interessant. «Die Begrenzung liegt einerseits in unserer Kreativität und andererseits in der Notwendigkeit, tatsächliche Kundenbedürfnisse zu priorisieren», so der KI-Forscher. Zunächst gilt es aber, das Projekt Darling zu einem Erfolg zu machen, damit Hörverluste zukünftig nicht nur bei einem Restaurantbesuch in den Hintergrund rücken.

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