Kultur

Einmal Filmverleih und wieder zurück

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Ein grosser Erfolg für die Schweizer Filmgesellschaft: Der erste Oscar verlässt Amerika. Bild: zVg

Mit Praesens-Film feiert die älteste Schweizer Filmgesellschaft 2024 ihr grosses Jubiläum. Nicht nur in Zürich blickt man zurück auf 100 bewegte Jahre. Retrospektiven, eine Sonderausstellung sowie ein Buch erinnern an die Ursprünge des Schweizer Films. Während Praesens-Film selbst sich heute neu aufstellt.

Mit dem Start ins neue Jahr feiert die Schweizer Filmlandschaft ein besonderes Jubiläum: Die Praesens-Film AG wird 100 Jahre alt. Offiziell zwar erst am 19. März 2024, aber der runde Gründungsgeburtstag der ältesten Schweizer Filmgesellschaft prägt den Kulturbetrieb bereits ab dem Januar. Retrospektiven in mehreren Kinos, ein neues Buch über die Historie des Unternehmens, Neuveröffentlichungen für Kino und Heimkino sowie eine eigene Sonderausstellung im Landesmuseum Zürich warten nicht nur auf die Zürcher und Zürcherinnen.

Angefangen mit selbstproduzierten Werbefilmen, reicht die bewegte Geschichte der Zürcher Filmgesellschaft bis nach Hollywood. «Zu Beginn seiner Existenz hat Praesens-Film den Schweizer Film überhaupt erst möglich gemacht», ordnet Benedikt Eppenberger, Filmhistoriker, Journalist und Autor des Buches «Heidi, Hellebarden & Hollywood – Die Praesens-Film-Story», ein. Gegründet vom Ingenieur Lazar Wechsler und dem Flugpionier Walter Mittelholzer, war es vor allem Wechsler, der sich für eine Professionalisierung der jungen Schweizer Filmlandschaft engagierte. Sein Vorbild dafür: das klassische Studio-System in Hollywood.

Das Kino als erste Verteidigungslinie

Vom abendfüllenden Dokumentarfilm ging es über den Kurzfilm und die Einführung des Tonfilms in den 1930er-Jahren zum Spielfilm. «Wechsler ging bei der Filmproduktion hohe finanzielle und thematische Risiken ein. Das ging eine Weile lang gut und Praesens-Film wurde auf allen Ebenen die führende Schweizer Filmfirma», erklärt Eppenberger. Man suchte die Expansion ins Ausland und trat auch als Verleiher für grosse ausländische Filme auf. Durch steigende Kosten und schlechtere Voraussetzungen auf der Produktionsseite wurde es allerdings zunehmend schwieriger, mit den Tonfilmproduktionen anderer Länder zu konkurrieren. Die Bedrohung durch den Nationalsozialismus zwang Praesens-Film dann quasi zu seinem Glück, denn auf dem nationalen Markt entstand dadurch eine grössere Nachfrage nach Dialektfilmen. «Sie wurden zu der Filmfirma der Geistigen Landesverteidigung», fasst Eppenberger zusammen.

Das Kriegsdrama «Füsilier Wipf» (1938) wurde ein Kassenschlager. Genau wie in «Landammann Stauffacher» (1941) wurde hier ein historischer Konflikt als Stoff genommen, um die Schweizer und Schweizerinnen auf den Kriegsfall und die mögliche Landesverteidigung einzustimmen. Und mit «Marie-Louise» (1944) konnte man sogar den ersten Oscar gewinnen: Richard Schweizer wurde in Hollywood für das Drehbuch ausgezeichnet. Der Film erzählt von einem französischen Mädchen, das auf der Flucht vor der Wehrmacht in der Schweiz eine sichere Unterkunft findet. Es ist zugleich der erste Schweizer Flüchtlingsfilm.

Filmposter «Die Gezeichneten» (1948)

«Die Gezeichneten» (1948) erzählt vom Schicksal vertriebener Kinder und gewann zahlreiche Filmpreise. Bild: zVg

Es folgten noch mehrere Filme, welche auch international Anerkennung fanden, bis man mit «Heidi» (1951) im Heimatfilm ein neues lukratives Genre fand. Einer der letzten grossen Filme aus dem Hause Praesens, welcher auch heute noch als absoluter Klassiker gilt, war 1958 der Kriminalfilm «Es geschah am helllichten Tag». «Ab den 1960er-Jahren verlor Praesens-Film als Produzentin viel an Boden», erläutert Eppenberger. Eine neue Generation an Schweizer Filmschaffenden und ein stärkeres System für die Filmförderung sorgten dafür, dass sich der Markt veränderte. Praesens war nur noch ein Filmproduzent unter vielen.

In den Zürcher Büros von Praesens zog man sich als Reaktion darauf Mitte der 60er-Jahre erstmals aus der Filmproduktion zurück. In den folgenden Jahrzehnten beschränkte man sich auf die Verwertung der eigenen Lizenzen – die Wiederaufführungen der Klassiker und dann der aufkommende Heimkinomarkt.

Rückblick aufs Heimkino

Denn während heute alle von Streaming, Abomodellen und digitalen Leihen reden, gab es davor ein äusserst rentables Geschäftsmodell für Filmverleiher. Vom Start 1997 über den absoluten Höhepunkt im Jahr 2006 ist die DVD bis heute noch das Medium, auf dem die meisten Filme verfügbar sind. Und erst 2016 wurden die physischen Medien, wozu auch die Blu-ray Disc zählt, von den digitalen Medien beim Umsatz überholt. Aus dieser Branche kommt auch Corinne Rossi, die heutige Geschäftsleiterin von Praesens-Film.

Corinne Rossi, lange braune Haare, blauer Pullover

Corinne Rossi arbeitet seit 2009 in der Geschäftsleitung von Praesens-Film. Bild: zVg

Unter ihrer Leitung wurde das Unternehmen wieder als Kinoverleih aufgebaut und feierte bereits das 90-Jahr-Jubiläum. Der 100-Jahr-Geburtstag sei allerdings noch einmal besonders schön. «Es ist eine Zeitreise. Ich finde es selbst auch immer wieder spannend, die Filme aus unserem Archiv zu gucken, nicht nur von den Geschichten her», erzählt Rossi. Die filmischen Retrospektiven zum Jubiläum laufen über das Jahr verteilt unter anderem im Filmpodium und im Frame in Zürich sowie im Kino Rex in Bern.

In der Reihe «100 Jahre Praesens: Zwischen Anpassung und Widerstand» laufen ab Januar im Filmpodium gleich 13 Filme – darunter befindet sich mit «Der Zauberer von Oz» (1939) auch ein lizenzierter Klassiker. Während im Frame jene Filme mit einem Bezug zur Stadt Zürich gezeigt werden. Eine Kooperation, die dafür sorgt, dass auch am Zurich Film Festival regelmässig alte Praesens-Filme im Programm stehen.

DVD-Box mit zwei Heidi-Filmen

Vertrieb und Erhaltung der Schweizer Klassiker gehen bei Praesens Hand in Hand. Bild: zVg

Bereits am 12. Januar beginnt im Landesmuseum Zürich die Sonderausstellung «Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte». Dafür wurden unter anderem aus der Cinémathèque Suisse, wo die Schätze aus 100 Jahre Praesens-Film lagern, zahlreiche historische Stücke ausgegraben. Die dreimonatige Ausstellung möchte ein Licht auf jene werfen, die vor und hinter der Kamera Schweizer Filmgeschichte geschrieben haben. Von den Werbefilmen der Anfangstage bis zu den Heimatfilmen der 50er-Jahre.

«Mad Heidi» als Zukunft

Das Jubiläum ist für Rossi aber auch ein wichtiges Zeitdokument: «Ich hoffe, dass es vielen jungen Filmschaffenden Mut macht, dass auch sie Filmgeschichte schreiben können.» Die Auswertungsformen haben sich in der langen Geschichte des Unternehmens zwar immer wieder verändert, aber man suche heute wie früher nach guten Geschichten, die die Menschen bewegen. Dafür ist Praesens-Film vor Kurzem auch wieder ins Produktionsgeschäft eingestiegen. «Wir werden zukünftig vermehrt auf Eigen- und Co-Produktionen setzen», kündigt sie an. Wie etwa mit dem Schweizer Historienfilm «Friedas Fall», welcher 2024 im Verleih von Praesens-Film in den Kinos erscheinen soll und an dem Rossi als Produzentin beteiligt ist. Und durch die 2022 vom Volk angenommene Lex Netflix hofft man auf höhere Investitionen in die Schweizer Film- und Serienlandschaft. «Wir haben zuletzt den Actionfilm ‹Mad Heidi› ins Kino gebracht. Man darf auch mal etwas mutiger sein», sagt Rossi.

«Heidi, Hellebarden & Hollywood»

Das Buch zum Jubiläum von Praesens-Film von Benedikt Eppenberger erschien im Dezember 2023. Er ist Mitglied des SRF-Teams, welches sich um die Restauration und Aufbereitung von Schweizer Filmklassikern kümmert. Mit der Idee eines Buches über Praesens-Film beschäftigte sich der Filmhistoriker bereits vor fünf Jahren, ehe die Pandemie das Buchprojekt zunächst stoppte.

Der Fokus des Buches liegt auf dem Mitgründer Lazar Wechsler, der als Flüchtling in die Limmatstadt kam, an der ETH studierte und in Zürich ein neues Zuhause fand. Und so waren es auch die jüdischen Flüchtlinge und der Zweite Weltkrieg, die Praesens-Film und Wechslers Arbeit auf dem Weg von Zürich nach Hollywood prägten.

Buchcover Heidi, Hellbarden & Hollywood

Bild: NZZ Libro

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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