Kultur

100 Jahre Zuger Kinokultur

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Eine Farbaufnahme des damals noch einstöckigen Grand Cinema Zug. Bild: zVg

1923 eröffnete in Zug das erste Kino. Dahinter steckte eine Kinopionierin, deren Nachfahren heute ein stolzes Jubiläum feiern: Ab dem 10. November laden die drei Zuger Kinos zu einem Festakt, der nicht nur für die Besitzerfamilie Hürlimann von grosser Bedeutung ist.

«Ausgerechnet Wolkenkratzer!», «Verflixte Gastfreundschaft» und «Die Nächte einer schönen Frau» liefen in jenem Jahr über die Leinwände, als auch das Kino Gotthard in Zug eröffnete. Doch während die Komödien von Lloyd, Keaton und Chaplin heute nur noch den historisch interessierten Filmfreunden bekannt sind, lockt das Gotthard immer noch das Publikum in den Kinosaal. Im November feiert das Familienunternehmen Kino Hürlimann sein 100-jähriges Bestehen mit einem ganz besonderen Programm in allen drei seiner Kinos im Kanton Zug.

Während der Film bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Menschen als Attraktion begeisterte, begann die Zuger Kinogeschichte erst im Jahr 1923 mit dem Bau des Grand Cinema Zug – heute bekannt als Kino Gotthard. Verantwortlich für dessen Realisierung in der Nähe des Zuger Bahnhofs war Veronika Hürlimann-Schweiker. Von Anfang an war sie verantwortlich für den Betrieb und die Direktion des Lichtspielhauses. Hürlimann-Schweiker wurde zur alleinigen Inhaberin des Kinos, erlebte den Wandel zum Tonfilm, kämpfte gegen die Zensurbehörden im Kanton Zug, eröffnete mit dem Seehof (1948) und dem Lux in Baar (1956) noch zwei weitere Kinos und repräsentierte das Kino Gotthard bis zu ihrem Tod im Jahre 1975.

Veronika Hürlimann-Schweiker in Kleid (Schwarz-Weiss-Aufnahme).

Veronika Hürlimann-Schweiker vor ihrem Kino in den 1920er-Jahren. Bild: zVg

1976 verpachteten ihre Kinder dann die Kinos an Bruno Ulrich, der das Familienunternehmen über Jahrzehnte ebenfalls familiär führte. Solange bis zur Jahrtausendwende mit Alban und Adrian Hürlimann zwei Nachkommen von Veronika Hürlimann-Schweiker das Geschäft übernahmen – zusammen mit Thomas Ulrich als Geschäftsführung. Heute betreiben die Gebrüder Hürlimann vier Leinwände in und um Zug und blicken selbst auf fast ein Vierteljahrhundert Kino zurück.

Marathon-Männer

Doch dies ist für sie nicht annähernd so bedeutsam wie das Feiern von 100 Jahre Zuger Kinokultur. Ein ganzes Jahr haben die Hürlimanns zusammen mit ihren MitarbeiterInnen an der Planung gearbeitet. Das Jubiläumsprogramm startet am 10. November und umfasst fünf Tage. Gezeigt werden 50 ausgewählte Filmklassiker für je fünf Franken, ein Stummfilm mit Live-Musikbegleitung sowie Kurzfilme aus dem Wettbewerb der Zuger Filmtage. Im Programm spiegelt sich auch die Geschichte der Zuger Kinos wider. Denn der Stummfilm «Die Elektrifikation der Schweizerischen Eisenbahnen», welcher am 13. November gezeigt wird, ist genau jener Film, mit dem 100 Jahre zuvor das Kino eröffnet wurde. Ebenso findet sich mit «Frankenstein» von 1931 ein Film im Programm, der damals von der Kantonalen Kinokommission sogar verboten wurde. Und mit «Cinema Paradiso» läuft als Eröffnungsfilm ein Werk über die Geschichte und die Magie des Kinos selbst.

«Es ist schon ein gewaltiger Rückblick, wenn man schaut, was sich in den Akten über 100 Jahre angesammelt hat», erzählt Alban Hürlimann. Es seien zudem ganz ähnliche Themen gewesen, mit denen sich die KinobetreiberInnen der Vergangenheit herumschlagen mussten. Zensurtechnisch waren neben den offensichtlichen Horrorfilmen damals jegliche sexuellen Andeutungen ein Dorn im Auge der Filmzensur, die sich nach dem «Katholischen Filmberater» richtete. Die Zensur des Kinos findet sich wiederum im Eröffnungsfilm als Thema wieder, der zudem zu den Lieblingsfilmen von Alban Hürlimann zählt.

Menschen stehen Schlange vor dem Kino Gotthard.

Das Weltkriegs-Drama «Füsilier Wipf» sorgte 1938 für ausverkaufte Kinosäle. Bild: zVg

Parallel zur ersten Vorstellung im Kino Gotthard findet im Kino Seehof die Eröffnungsfeier statt. Hier führt Fernsehmoderator und Schauspieler Sven Furrer durch den Abend und auch Alban und Adrian Hürlimann werden sich an ihre geladenen Gäste wenden und einige Anekdoten beisteuern. «Man versucht natürlich schon ein paar filmische Highlights zu setzen, die auch eine grössere Öffentlichkeit ansprechen», sagt Alban Hürlimann. So finden sich neben den Filmklassikern von Kurosawa, Varda und Wilder auch Blockbuster wie «Star Wars», «Aliens» und «Gladiator» im Programm wieder. Hinzu kommen moderne Lieblinge, Kinderfilme und natürlich der ein oder andere Schweizer Film. Mit dem Auftritt des mittlerweile 90-jährigen Emil Steinberger konnte man für die Vorführung von «Die Schweizermacher» sogar ein weiteres Stück Schweizer Kinogeschichte für sich gewinnen. «Emil hatte selbst mal ein Kino in Luzern und kennt die heutigen Bedingungen für die Betreiber», erzählt Alban Hürlimann.

In Zug verwurzelt

Heute leben die Zuger Kinos von ihrem eingeschworenen Publikum. Das klassische Arthouse-Publikum im Kino Gotthard ist schon etwas älter. «Da geht es auch um das Gemeinschaftserlebnis und die Möglichkeit, das Gesehene zu diskutieren», erläutert Adrian Hürlimann und verweist auf den hauseigenen Filmclub Fliz, welcher sich monatlich zu ausgewählten Vorstellungen trifft. «Leider schrumpfen die Zuschauerzahlen. Aber ausgehen und mit jemandem einen Film gucken und dann ausdiskutieren, was man gesehen hat – das ist städtisches Leben», sagt Alban Hürlimann.

Gruppenfoto im Foyer des Kino Gotthards

Thomas Ulrich, Bruno Ulrich, Alban Hürlimann und Adrian Hürlimann (von links nach rechts) 1999 im Foyer des Kino Gotthard. Bild: zVg

Vor allem den Kampf um den Nachwuchs scheint man in den Zuger Kinos etwas verloren zu haben. Multiplexkinos in Luzern und Zürich, Streaminganbieter und das Internet sind heute eine grosse Konkurrenz. Auch wenn man sich mit günstigeren Eintrittspreisen für Zuschauerinnen unter 25 Jahren und der Zusammenarbeit mit den bisher jährlich durchgeführten Zuger Filmtagen um ein junges Publikum bemüht. Dazu ergänzen sich in den drei Kinos des Unternehmens Filme in der Synchronfassung und jene im Originalton. «Wenn wir unser Einzugsgebiet bespielen möchten, dann müssen wir alles anbieten – vom Blockbuster bis hin zum Arthouse», sagt Alban Hürlimann. Insgesamt aber war das Publikum zahlreicher, als sie die Zuger Kinos zur Jahrtausendwende übernommen haben.

Als Kinobetreiber hat man es natürlich nicht in der Hand, welche Filme produziert werden und welche Streifen Streaminganbieter wie Disney nur für sich behalten. Eventfilme wie «Top Gun: Maverick» im vergangenen oder «Barbie» und «Oppenheimer» in diesem Jahr sorgten immer noch für gute Eintrittszahlen. Für Alban Hürlimann braucht es vor allem gute Themen, um die ZuschauerInnen ins Lichtspielhaus zu locken: «Wenn ein Film thematisch interessant ist, dann geht man auch bei Sonnenschein ins Kino.»

Zurück in die Zukunft

Wenn am 14. November mit der Award Night der Zuger Filmtage die Feierlichkeiten im Kino Seehof enden, fängt bei den Gebrüdern Hürlimann die Planung der Zukunft an. Das Kino Gotthard wurde gerade erst endgültig aus dem Inventar der schützenswerten Objekte entlassen. Damit ist der Weg frei für grössere Renovierungs- und Umbauarbeiten. Vor allem das kleine Foyer verhinderte zuletzt eine Zweitnutzung des Gebäudes und damit auch eine Querfinanzierung des Kinobetriebs. Ein weiterer Kinotrend geht auch hin zu mehr Komfort. So wurden bei der letzten Renovierung im Kino Lux in Baar weniger, aber dafür bequemere Sitze im Saal verbaut.

«Ich denke, dass die kulturelle Leistung unserer Kinos nicht genug gewürdigt wird, auch von der Kulturförderung. Das Kino in der Provinz wird heute einfach abgeschrieben», erklärt Alban Hürlimann. In der Pandemie wurde das Bemühen um Fördergelder vom Regierungsrat sogar abgelehnt, obwohl die Kulturkommission einen sinnvollen Vorschlag gemacht hatte. «Dabei ist das Kino doch der Rolls-Royce der Medien», ergänzt Adrian Hürlimann und verweist auch auf die Belebung der Stadt durch zentral gelegene Kulturorte wie das Kino. In anderen Schweizer Städten sei das Innenstadtkino als Institution fast verschwunden.

«Man hofft einfach, das gemeinsame Kinoerlebnis in die Zukunft zu tragen», sagt Alban Hürlimann. In welcher Form das die Zuger Kinos auch in der Zukunft machen, scheint noch offen. Aber auch das Kino selbst befindet sich schon seit jeher in einem stetigen Wandel. Zunächst heisst es jedoch «5 Tage, 50 Filme, 5 Franken», wenn ab dem 10. November das Zuger Kino zelebriert wird.

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Als Redaktor schreibe ich Artikel für unsere Zeitungen und unsere Website, durchforste die sozialen Medien und fahre durch die Region, immer auf der Suche nach der nächsten Geschichte. Ausserhalb des Büros findet man mich meistens im Kino oder neben der Südkurve.
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