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«Die Schweiz bleibt noch lange das Wasserschloss Europas»

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Dem Trinkwasser in der Schweiz wird generell nach wie vor eine gute Qualität bescheinigt. Bild: efired / Depositphotos

Die Schweiz ist reich an sauberem Wasser. Zu verdanken haben wir das den relativ grossen Niederschlägen und Bergen. Doch wie wirkt sich der Klimawandel auf unser Wasser aus und wie sauber ist unser Trinkwasser wirklich? Professor Urs von Gunten von der Eawag – dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs – gibt Auskunft.

Herr von Gunten, im Sommer 2022 wurde das Wasser in der Schweiz stellenweise knapp. Wird das künftig vermehrt vorkommen?

Leider ja. Alle Klimamodelle sehen voraus, dass die Niederschläge in der Schweiz im Sommer tendenziell abnehmen und Hitzeperioden zunehmen. Wenn dann doch einmal Regen fällt, giesst es oft kurz und heftig – sodass die Wasserressourcen nur geringfügig alimentiert werden. Zudem schafft das neue Probleme, weil unsere Kanalisationen diese Spitzen nicht ableiten können und der trockene Boden nicht bereit ist, das Wasser aufzunehmen. Im Winter fällt zwar genügend Niederschlag, aber selbst in den Voralpen tendenziell mehr als Regen und nicht mehr so oft als Schnee. Die Schneearmut im Alpenraum ist diesen Winter (2022/23) besonders krass. Vielerorts liegt so wenig Schnee wie seit 50 Jahren nicht mehr. Das werden wir, zum Beispiel im Jura, im Wallis, im Tessin oder Norditalien, voraussichtlich schon in diesem Frühling spüren. Denn die längerfristige Speicherkapazität des Schnees für den Frühling bis in den Frühsommer entfällt teilweise. Das hat Konsequenzen für die Wasserstände in den Flüssen und Seen. Trotzdem werden wir insgesamt auch auf lange Sicht ausreichend Wasser haben in der Schweiz, denn wir haben auch grosse Reserven. Es wird aber vermehrt darauf ankommen, wie das Wasser verteilt wird.

Urs von Gunten

Urs von Gunten arbeitet am Eawag in der Abteilung Wasserressourcen und Trinkwasser. Bild: zVg

Grosse Reserven? Aber die Gletscher schmelzen und Schnee scheint es auch immer weniger zu geben.

Die grösste Wasserreserve, rund 150 km³, lagert im Grundwasser. Dazu kommen nochmals rund 130 km³ in den grösseren Seen. Die Gletscher steuern etwa 57 km³ bei, die Stauseen noch 4 km³. Ein Kubikkilometer sind 1000 Milliarden Liter Wasser; würde man ihn über die ganze Schweiz ausgiessen, ergäbe das eine Wasserschicht von 2,5 cm. Jährlich fallen rund 60 km³ Wasser als Regen und Schnee auf die Schweiz. Davon wird etwa ein Drittel in den Wasserressourcen zurückgehalten und kann nachhaltig genutzt werden. Die Wasserversorgungen setzen pro Jahr zusammen gerade mal etwa einen Kubikkilometer um, was nur 5 % der speicherfähigen Wassermenge ausmacht. Vor diesem Hintergrund wird die Schweiz also noch lange das Wasserschloss Europas bleiben.

Trotzdem: Engpässe scheinen häufiger zu werden. Müssen wir uns wie beim Strom auch beim Wasser auf Blackouts vorbereiten?

Dank Notfallplänen und grossen Wasserverbundnetzen sehe ich keinen Wasser-Blackout auf die Schweiz zukommen. Aber lokal oder regional, etwa im Jura oder in gewissen voralpinen Gebieten, können die längeren Trockenzeiten schon besondere Massnahmen erforderlich machen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Wasserversorgungen noch mehr vernetzen, um möglichst resilient zu werden. Beispielhaft für eine solche Vernetzung ist die Region um die Stadt Zürich, wo bei Bedarf mehr als 60 Gemeinden mit Seewasser versorgt werden können. Es gab vor einigen Jahrzehnten auch Projektskizzen zu einer schweizweiten Wasserversorgung mit Seewasser.

Sollen also am besten alle Schweizerinnen und Schweizer einige Liter Wasser im Keller lagern?

Generell ist es sicher gut, im Sinne eines Notvorrats einige Liter Trinkwasser auf Reserve zu haben. Kühl und dunkel gelagert, hält sich das nahezu unbegrenzt. Eine solche Reserve kann allerdings nur helfen, eine kurzfristige Wasserknappheit zu überbrücken.

Trinkwasser

Längst nicht überall auf der Welt kann man Trinkwasser bedenkenlos aus dem Hahn sprudeln lassen. Bild: Jacek Dylag / Unsplash

Was meinen Sie mit «besondere Massnahmen»?

Das können Aufrufe zum Wassersparen sein, Verbote zur Rasenbewässerung oder dass ausnahmsweise ein Reservoir einmal per Tanklastwagen gefüllt werden muss. Mittelfristig könnte dies bedeuten, dass zum Beispiel Stauseen multifunktional genutzt werden. Wasser könnte zusätzlich zur Stromproduktion auch für andere Nutzungen (Wasserversorgung, Landwirtschaft) eingesetzt werden, wenn dieses talabwärts fehlt. Zudem müssten Wasserversorgungen wie oben erwähnt vernetzt werden, damit in schwierigen Situationen eine Alternative zu den ungenügend vorhandenen Wasserressourcen besteht. Für zahlreiche Wassernutzungen gibt es ein noch ungenutztes Sparpotenzial: Gesammeltes Regenwasser oder wenig verschmutztes Wasser aus der Dusche zum Beispiel kann für die Toilettenspülung oder zur Gartenbewässerung genutzt werden.

2021 hat das Stimmvolk zwei Initiativen abgelehnt, welche das Trinkwasser vor Pestiziden bewahren wollten. Wie ist die Situation aktuell?

Tatsächlich macht uns in der Schweiz die stoffliche, von Menschen verursachte Belastung des Wassers, auch des Grundwassers, mehr Kopfzerbrechen als die Angst vor Dürren. In landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten finden wir in Bächen und im Grundwasser zu viele Pestizide und oft auch zu viel vom Nährstoff Nitrat. Studien der Eawag haben in Bachwasserproben bis zu 90 verschiedene Wirkstoffe bestätigt. Die Konzentrationen überstiegen Werte, ab denen negative Effekte auf Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen befürchtet werden müssen, um bis das 50-fache. Im Grundwasser ist die Situation zum Glück besser, denn der Boden wirkt als guter Filter. Aber Abbauprodukte von Pestiziden und das Nitrat beschäftigen auch die Wasserversorger.

Was kann man dagegen tun?

Der Bund hat mit dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel sowie einem Verordnungspaket «für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft» einen ganzen Strauss an Massnahmen eingeleitet. Beim Nitrat werden wir die Ziele in einzelnen Gebieten wohl nicht ohne eine Reduktion der Tierbestände erreichen. Bei den Pestiziden reicht das Spektrum von Abstandsauflagen beim Pestizideinsatz bis zum Verbot von besonders schädlichen Stoffen. Laufend werden zudem mehr Kläranlagen mit zusätzlichen Reinigungsstufen gegen Mikroverunreinigungen ausgerüstet. Erste Erfolge sind messbar. Aber gewisse Stoffe, wie die Abbauprodukte des inzwischen verbotenen Chlorothalonil, sind sehr langlebig. Das heisst, wir messen sie im Grundwasser noch jahrelang, obwohl die ursprüngliche Substanz nicht mehr verwendet wird.

Traktor sprüht Feld

Die Landwirtschaft bildet einen der Faktoren, wenn es um die Verschmutzung des Grundwassers geht. Bild: valio84sl / Depositphotos

Sind die im Grundwasser und schliesslich auch im Trinkwasser gefundenen Werte dieser Abbauprodukte gefährlich für die Menschen?

Bei den Abbauprodukten von Chlorothalonil reden wir von Bruchteilen von einem Mikrogramm pro Liter. Persönlich denke ich, dass das Trinkwasser nicht der entscheidende Punkt ist, wenn man berücksichtigt, wie viele Stoffe wir mit der Nahrung und Getränken zu uns nehmen und wie vielen Giften wir im Alltag begegnen. Oder salopp gesagt: Soviel Wasser trinkt kein Mensch, dass ihn das Schweizer Trinkwasser krankmachen könnte. Zudem sind die Höchstkonzentrationen mit Sicherheitszuschlägen versehen und die Kontrollen funktionieren gut hierzulande. Trotzdem bleibt das Ziel: Dem Trinkwasser als wichtigstem Lebensmittel ist besonders Sorge zu tragen, und im Grunde wollen wir gar keine Fremdstoffe darin, auch nicht in geringsten Mengen.

Also kann ich mein Leitungswasser weiterhin bedenkenlos trinken?

In der Schweiz trinke ich überall bedenkenlos Wasser ab Hahn, ja. Andere Faktoren – zum Beispiel ob ich rauche, ob ich an einer vielbefahrenen Strasse wohne, welche Lebensmittel ich konsumiere und wie die zubereitet werden – sind viel entscheidender in Bezug auf Schadstoffe, die ich aufnehme. Jede Wasserversorgung muss die Qualität des gelieferten Trinkwassers laufend überprüfen und über die Resultate informieren. Zahlen dazu finden sich zum Beispiel auf dieser Website, wo man die Postleitzahl des Wohnorts eingeben kann. Einen eigenen Beitrag leisten kann ich indirekt, zum Beispiel indem ich keine Medikamente oder Chemikalien in der Toilette entsorge oder regional und möglichst umweltgerecht produzierte Lebensmittel kaufe.

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