Wie KI die Arbeitswelt auf den Kopf stellen könnte

Welche Jobs haben (k)eine Zukunft?

Auf künstlicher Intelligenz basierende Anwendungen kommen bereits heute regelmässig im Arbeitsalltag zum Einsatz. Dabei übernehmen sie zahlreiche Aufgaben und werfen somit die Frage auf, wie stark und in welche Richtung sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahren verändern wird.

ChatGPT und andere KI-Tools sind bei vielen mittlerweile omnipräsent. Ihre häufige Verwendung zeigt, wie selbstverständlich der Einsatz von künstlicher Intelligenz bereits geworden ist. Gleichzeitig hält die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ein überraschend rasantes Tempo und bringt laufend mehr Veränderungen mit sich. Ein Lebensaspekt, der stark von dieser Entwicklung beeinflusst wird und wo die Verwendung von KI entsprechend auch viele Fragen aufwirft, ist die Arbeitswelt. 

Während zahlreiche Angestellte eine Entlassungswelle und um den eigenen Job fürchten, lässt sich freilich noch nicht eindeutig vorhersagen, ob aufgrund von künstlicher Intelligenz tatsächlich eine Vielzahl an Stellen gestrichen oder ganze Berufe obsolet werden. «Aufgrund der horrenden Geschwindigkeit, mit der sich KI-Anwendungen weiterentwickeln, lassen sich ihre Auswirkungen auf die nahe Zukunft kaum einschätzen», sagt Stefano Brusoni. Er ist Professor für Technologie und Innovationsmanagement an der ETH Zürich und beschäftigt sich unter anderem mit Hürden auf dem Weg zu mehr positiver Veränderung auf der Welt. Er gehört zu den Köpfen, die – basierend auf eigenen Recherchen – Fragen in Bezug auf KI zu beantworten suchen und auf mögliche Zukunftsszenarien hinweisen. 

Eine Super-Suchmaschine mit Köpfchen

«Die aktuell neueste Generation von generativer KI ermöglicht in erster Linie schnellen Zugang zu einer sehr umfassenden Datenbank, welche sie zur Beantwortung der eingegebenen Prompts analysiert und verarbeitet», so Brusoni. Wobei hier immer die Frage mitschwingt, wie sehr darauf Verlass ist, dass diese ausschliesslich faktengetreue und präzise Informationen beinhaltet und diese auch passend und korrekt wiedergibt. Heute kann mit der generativen KI ein tiefgründiges Gespräch geführt werden, während früher in zahlreichen Büchern und Dokumenten nachgeschlagen werden musste, um lediglich eine Verständnisfrage zu beantworten. Überholte manuelle und digitale Recherchemittel werden nun durch ein Suchen und Rekombinieren der Informationen seitens der KI ersetzt und in übersichtlichen Häppchen präsentiert. «Früher haben Praktikanten solche Recherchen erledigt, heute wird deren Leistung durch das Eintippen von wenigen Fragen ersetzt», führt Brusoni aus. 

Foto von ETH-Professor Stefano Brusoni der sich an eine Treppe lehnt

Professor Stefano Brusoni blickt optimistisch in die Zukunft. Bild: zVg

Dies führt nicht nur zur Frage, welche Tätigkeiten in Zukunft gänzlich von KI übernommen werden könnten. Auch verändert diese Entwicklung die Ausbildung von jungen Arbeitskräften. Einerseits stellt sie traditionelle Methoden wie die Anstellung eines Assistenten infrage. Auf der anderen Seite eröffnet sie neue Trainingsmöglichkeiten, was besonders sehr risikobehaftete Berufe wie zum Beispiel diejenigen im Bereich der Chirurgie angeht. «Doch das ist noch Zukunftsmusik», sagt Brusoni. 

Sich wiederholende Prozesse übernehmen, ein Wort klar definieren, einen Text übersetzen oder anpassen, das Resultat einer Studie erläutern oder einen einfachen Computercode verfassen – dies kann bereits heute von einem KI-Tool erledigt werden. «Voraussetzung ist jedoch, dass das Tool von einer kompetenten Person eingesetzt wird, die diese Aufgaben auch eigenständig erledigen könnte, doch mithilfe des Tools an Zeit spart», bemerkt Brusoni. Generative KI-Tools sind so programmiert, dass sie basierend auf ihrer Datenbank eine Antwort geben, ohne Garantie auf Fehlerfreiheit oder Vollständigkeit der Informationen. Deswegen können Laien solche Tools nicht bedenkenlos verwenden.  

Zu viel zu schnell?

Inwiefern künstliche Intelligenz den Arbeitsalltag verändern wird, lässt sich nicht eindeutig vorhersagen. Während manche Experten eine massive Entlassungswelle voraussagen, warnen andere vor dem Phänomen «High-Flying-Modus». Dieser beschreibt die Situation, in der KI einfache Aufgaben bei der Arbeit – inklusive zum Beispiel Routineaufgaben – übernehmen würde, wobei es dem Menschen nur noch die anspruchsvolleren Aufgaben zu lösen liesse. 

Eine Frau assistiert mit dem Tablet einer anderen Frau an der Nähmaschine

KI-Tools lassen sich in vielerlei Hinsicht als Unterstützung im Arbeitsalltag einsetzen. Bild: Peryn / Depositphotos

Dies erscheint auf den ersten Blick eine Entlastung, doch paradoxerweise würde ein solches Szenario den Arbeitsalltag erschweren – so müssten die Arbeitnehmenden plötzlich viel mehr herausforderndere Tätigkeiten übernehmen und würden die Denkpausen verlieren, die üblicherweise mit einer weniger anspruchsvollen Aufgabe einhergehen. Ein solcher «High-Flying-Modus» könnte also die Zeitspanne, während der eine Arbeitnehmerin auf Hochtouren arbeitet, stark erhöhen. «Ein so angespannter Arbeitsalltag führt zu Stress, was die Qualität der Arbeit deutlich senken kann», erklärt Brusoni. «Unter Stress werden schlechtere Entscheidungen getroffen, das ist unumgänglich.» Folglich ist es nicht weit hergeholt, dass eine Viertagewoche eingeführt oder die täglichen Arbeitsstunden reduziert werden müssten. 

Manuelle Aufgaben und die geistige Komponente

«Berufe mit überwiegend manuellen Aufgaben wie das Kochen und Servieren von Essen, Reparieren von Wasserleitungen oder Haareschneiden werden vorerst noch bleiben», sagt Brusoni. Auch Jobs, bei denen eine starke Beziehungskomponente mitschwingt, lassen sich wohl schwerlich von KI ersetzen. Einen bedeutenden Teil davon machen Berufe in der Pflege aus. Nicht nur herrscht auf diesem Berufsgebiet Fachkräftemangel, sondern wird diese Berufsgruppe mit der Zeit umso mehr beansprucht, da die demografische Alterung unter anderem dank des medizinischen Fortschritts stetig voranschreitet. Auch ist die körperliche Komponente bei der Pflegearbeit nicht zu unterschätzen. Doch auch in diesen Berufen werden KI-Tools bald zum Beispiel zu Organisationszwecken in den Betrieben eingeführt werden. 

Luftbild der ETH Zürich

Bildungsinstitutionen wie die ETH Zürich bieten Kurse bezüglich der Verwendung von generativer KI an. Bild: Facebook ETH Zürich

Mit Weiterbildungen im digitalen Bereich können Arbeitstätige ihre Chancen auf eine attraktive Stelle in der Zukunft vergrössern, egal, auf welchem Berufsgebiet. Dabei geht es primär darum, sich in einer KI-gestützten Arbeitswelt zurechtzufinden und passende Tools als solche geschickt zu nutzen. Dazu gehört auch, die Grenzen der KI zu kennen und mögliche Fehler zu erahnen oder frühzeitig zu erkennen. Auch in diesem Sinne werden kritisches Denken und andere Soft Skills wie Teamarbeit und -führung umso wichtiger, da sie sich kaum von einer Maschine ersetzen lassen. 

Lernen lohnt sich

Die Tatsache, dass Training und Weiterbildung  in Bezug auf die Verwendung von KI-Tools langsam aber sicher Voraussetzung wird, gibt grossen Unternehmen einen signifikanten Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Marktspielern: «Weiterbildungen kosten Zeit und Geld, was sich kleine Unternehmen nicht immer leisten können», erklärt Busoni. Wenn auch nur wenig Zeit zur Verfügung steht, so lohne es sich trotzdem, sich mit KI-Tools vertraut zu machen. «Ich rate jedoch davon ab, jegliche Anwendungen auf eigene Faust auszuprobieren, denn das kann schnell frustrieren und demotivieren», so Brusoni. Wenn man von einem Mitarbeitenden durchs Tool geführt wird oder einem kurzen Onlinekurs folgt, macht man sich bereits wenigstens mit dem Interface des Tools bekannt und ist einen wertvollen Schritt weiter. Dies hat auch den angenehmen Nebeneffekt, dass man die Grenzen und Möglichkeiten des Tools besser einschätzen, es für die eigenen Zwecke einsetzen kann und es deswegen eher als Unterstützung denn als Konkurrenz wahrnimmt. 

Aktuell sieht Brusoni noch keinen Grund, einen bestimmten Karrierepfad rein aufgrund des kometenhaften Aufstiegs von KI-Anwendungen abzulehnen. Bei der Berufswahl lohne es sich aber umso mehr, sich zwei Fragen zu stellen: «Liebst du die Haupttätigkeit des Berufs wirklich sehr und führst du sie auch richtig gut aus?», lässt der Dozent die Fragen im Raum stehen. Zuletzt fügt er hinzu: «Entscheidend ist heute weniger der Karrierestart, sondern die Art und Weise, wie man von dort aus fortfährt – lernbereit bleibt, Weiterqualifizierungen erlangt und die Verwendung von neuen KI-Technologien auf dem eigenen Berufsweg integriert.» Nach dem Ermessen des Professors werden ausgebildete Spitzenfachkräfte auch in Zukunft auf jedem Gebiet gebraucht werden, doch die Erwartungen werden steigen. Dies unterstreicht, dass gerade viele Büroberufe durch den Einsatz von KI gleichzeitig positiv und negativ beeinflusst werden können. 

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