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Selbstbestimmt und spielerisch aufs erste Date

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Die Hauptcharaktere des Spiels: Alex und Lou, jeweils von links nach rechts männlich, weiblich und divers. Bild: zVg, Figuren: Diego Balli (2023)

Serious Games – das sind Videospiele, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch Wissen vermitteln und einen bedeutsamen Zweck verfolgen sollen. Ein solches ist das am Informatik-Departement der HSLU hergestellte Spiel zum Projekt «Herzfroh 2.0», welches Aspekte der gleichnamigen sexualpädagogischen Heftserie für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in spielerische Form überträgt.

Spiel, Spass, Freude: Mit Videospielen werden generell Attribute der Unterhaltung in Verbindung gebracht und ein praktischer Nutzen wird in ihnen eher wenig gesehen. Während es in der Tat so ist, dass die meisten Videospiele zum Zweck entwickelt werden, Freude zu bereiten, liegt der Fokus bei einer bestimmten Spielkategorie woanders: den Serious Games. Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich dabei um «ernste» Spiele; solche, die etwa Wissen vermitteln oder einem therapeutischen Zweck dienen.

Das Immersive Realities Research Lab des Departements Informatik der Hochschule Luzern (HSLU) entwickelt und erforscht bereits seit seiner Gründung 2018 ebensolche Spiele. Wie genau die Umsetzung aussieht, unterscheidet sich von Spiel zu Spiel: «Welche Technologien wir einsetzen, entscheiden wir mit den Projektpartnern; abhängig vom Anwendungsfall. Einmal eignet sich Augmented oder Virtual Reality mit spezifischer Hardware, ein anderes Mal werden Spiele für handelsübliche Webbrowser entwickelt», erklärt Ariana Huwiler, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Immersive Realities Research Labs. Immer zentral für das Forschungsteam sei, bei der Entwicklung entsprechende FachexpertInnen zum jeweiligen Thema miteinzubeziehen.

Ariana Huwiler: schwarze Haare, Brille, rotes Hemd

Ariana Huwiler ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Forschungsprojekten der HSLU beteiligt und führt die Entwicklung ihres eigenen Serious Games. Bild: zVg

Huwiler ist neben ihrer Arbeit an weiteren Forschungsprojekten des Teams ebenfalls als Hauptverantwortliche für die Entwicklung eines Serious Games zuständig – für das Spiel zu «Herzfroh 2.0». Bei «Herzfroh» handelt es sich um eine von 2007 bis 2011 erschienene Reihe von sexualpädagogischen Magazinen zu Themen bezüglich Körper, Liebe und Sexualität, die sich damals primär an Erwachsene mit kognitiven Einschränkungen richtete. Bis zu seiner Auflösung 2011 wurde die Heftserie von der Fachstelle Behinderung und Sexualität Basel publiziert.

Herzfroh im modernen Gewand

Seit 2018 werden die Hefte im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojekts zwischen der HSLU und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln überarbeitet. Beim entsprechend benannten Forschungsprojekt «Herzfroh 2.0» ging es vorerst noch nicht um ein Videospiel, sondern um die Aktualisierung und Digitalisierung der ursprünglichen Materialsammlung. Dabei sollte der Inhalt modernisiert werden: «Die Inhalte sind zum Teil veraltet und müssen überarbeitet werden. Auch hat eine Evaluation der bisherigen Hefte zu Projektbeginn bei jungen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Fachpersonen für Bildung und Betreuung gezeigt, dass verstärkt der Einbezug von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt gewünscht wird», so Huwiler.

Herzfroh 2.0 auf Smartphone

Beim Wandel von Herzfroh zu Version 2.0 stand die Digitalisierung im Zentrum. Bild: Screenshot HSLU

Bei der laufenden Überarbeitung des Materials ist das Ziel, Menschen und ihre Vielfalt besser zu repräsentieren; dazu gehören unter anderem Themen wie Asexualität oder Homosexualität. Neu richten sich die Informationsmaterialien an Jugendliche und junge Erwachsene mit Lernschwierigkeiten. Eine Nachreichung unterstützt Fachpersonen für Bildung und Betreuung in der Arbeit mit diesen Materialien für die Zielgruppe. Ziel ist zudem weiterhin, barrierefrei qualitativ hochstehende Informationen zu Körper, Liebe und Sexualität zur Verfügung zu stellen. Junge Menschen sollen ebenfalls Zugang zu Sexualaufklärung erhalten und sich unabhängig Dritter oder mit selbstgewählter Assistenz informieren können.

Huwiler arbeitet seit 2021 in der Forschungsgruppe – zuvor hatte sie bereits zwei Semester lang in Form studentischer Projekte Prototypen für Herzfroh 2.0 entwickelt. «Wir nutzen das Spiel als zusätzliches Medium, um Heftinhalte darzustellen und zu vermitteln. Ziel ist es nicht, die Hefte zu ersetzen», erklärt sie.

Eine Geschichte mit Herz

Beim Spiel handelt es sich nicht etwa um eine Datenbank mit allen Informationen der Herzfroh-Magazine, sondern um ein in einfacher Sprache geschriebenes, voll vertontes narratives Spiel – eine kurze, nicht-lineare Geschichte, bei der die Entscheidungen, die die Spielenden treffen, den Verlauf und Ausgang dieser bestimmen.

Das Spiel basiert auf einem der Herzfroh-2.0-Hefte mit dem Titel «Freundschaft und Liebe», dessen Inhalte darin thematisiert werden. Gespielt wird in einer 2D-Ansicht mit Charakterdesigns des Stanser Illustrators Diego Balli. «Freundschaften, Beziehungen, Liebe und Sexualität sind für Menschen mit einer Beeinträchtigung genauso ein Bedürfnis wie für Menschen ohne eine Beeinträchtigung. Herzfroh leistet einen Beitrag dazu, dass sie diese Aspekte ihres Lebens selbstbestimmt und gut informiert leben können», erklärt Huwiler die Notwendigkeit von Herzfroh.

Charakterwahl im Browser

Bei der Charakterauswahl steht den Spielenden frei, welches Geschlecht sie den Charakteren geben wollen. Bild: zVg, Figuren: Diego Balli (2023)

Die Geschichte rund um Freundschaft und Liebe handelt von Hauptcharakter Alex und seinem respektive ihrem Schwarm Lou und ihrem ersten Date. Gespielt wird aus der Perspektive von Alex und Spielende treffen in verschiedenen Momenten in der Geschichte Entscheidungen: Was vor dem Date angezogen werden oder wie sich beim Date verhalten werden soll. Das Spiel ist so konzipiert, dass in jedem Fall auf konstruktive Art Inhalte zu Freundschaft und Liebe vermittelt werden. Egal ob es darum geht, eine Beziehung anzufangen oder die Wogen zu glätten, nachdem Ausreden erzählt wurden.

«Personen mit einer Beeinträchtigung befinden sich häufig in einer Wohn- und/oder Lebenssituation, in der andere Personen auch alltägliche Entscheidungen an ihrer Stelle treffen. Das wird in der Fachliteratur als eine mögliche Ursache gesehen, wieso sie Entscheidungsschwierigkeiten haben.» Deswegen habe man im Spiel besonderen Wert darauf gelegt, Entscheidungen zu respektieren und diese mit ihren Konsequenzen – positiv oder negativ – ausspielen zu lassen, betont Huwiler deren Wichtigkeit.

Serious Game, serious Efforts

Dass bei Herzfroh 2.0 Wert auf Diversität gelegt wurde, sieht man beispielsweise bei der Auswahl der Spielfiguren. Spielende entscheiden, ob Alex männlich, weiblich oder divers ist. Bei Lou treffen sie diese Entscheidung ebenfalls. Das erlaubt es ihnen, ihre Vorstellung von Dating ins Spiel einfliessen zu lassen. Alle sechs möglichen Spielfiguren wurden individuell illustriert und von unterschiedlichen Synchronsprechenden gesprochen.

Textfeld links, Figuren rechts

So soll das Spiel am Ende aussehen: Links der Text mit Entscheidungsfragen, darunter die möglichen Entscheidungen und rechts das Spielgeschehen. Bild: zVg, Figuren: Diego Balli (2023)

Zur Optimierung des Spiels unter Einbezug der Bedürfnisse der Zielgruppe wurde Feedback auf zweierlei Wege eingeholt. Auf der einen Seite stand das Entwicklungsteam, wie bei Serious Games üblich, stets mit FachexpertInnen in Kontakt, etwa mit SexualpädagogInnen. Andererseits wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Spieltests durchgeführt, zum Beispiel mit freiwilligen SchülerInnen zweier Berufsschulklassen der Stiftung Brändi. Der letzte Spieltest fand in einem Klassensetting statt, wobei die SchülerInnen sich bei Bedarf Hilfe von den Lehrpersonen oder von der Moderatorin in Anspruch nehmen konnten. Anschliessend wurden sie zum Erlebten befragt.

Die Tests verliefen erfreulich. «Die Spielenden standen dem Konzept sehr offen gegenüber und haben es gut angenommen», erzählt Huwiler. Basierend auf den Feedbacks wurde beispielsweise die Spieleinführung komplett überarbeitet. Die Entscheidung, welches Outfit angezogen werden soll, erhält im Spiel mehr Raum: «Wir haben diese Entscheidung angeboten, damit die Spielenden sich einbringen können. Was aus unserer Perspektive eine kurze Sache war, gab bei den Jugendlichen viel zu überlegen und abzuwägen. Rückwirkend macht das absolut Sinn – es geht schliesslich um das erste Date», so Huwiler. Die Entscheidung hat im Spiel nun einen höheren Stellenwert, um die Lebenswelt der Altersgruppe besser zu repräsentieren.

Finalisiert ist die Entwicklung des Spieles noch nicht ganz. Momentan werden für audiovisuelle Elemente noch Platzhalter verwendet – Stockillustrationen für die Figuren, computergenerierte Stimmen und generische Schaltflächen zur Spielkontrolle. Bis Ende des Jahres sollen die Illustrationen von Diego Balli, die Stimmen der SynchronsprecherInnen und eine neue Benutzeroberfläche das Projekt vollenden. Am Ende soll das Spiel in zwei Versionen weiterverbreitet werden: In Deutschland durch die BZgA auf ihrer Webseite für Sexualaufklärung; in der Schweiz durch die HSLU Soziale Arbeit, die für Herzfroh 2.0 eine Webseite entwickelt. Die Veröffentlichung der Materialien ist für Juni 2024 geplant.

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Nebst der Arbeit als Redaktorin der FonTimes begeistert mich die Vielfalt der Medienlandschaft. Ob Filme, Games, Serien oder auch Anime: Bei mir geht alles. In der Freizeit findet man mich ausserdem regelmässig bei der Erkundung von Städten – allen voran Zürich.
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