Alltag

Durch Gaming zu neuen Berufsmöglichkeiten

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GamerInnen sind sich der Fähigkeiten und Möglichkeiten oftmals gar nicht bewusst, die sich aus ihrem Hobby ergeben können. Bild: DragosCondreaW / Depositphotos

Seit über 30 Jahren erfreuen sich Videospiele weltweit grosser Beliebtheit und werden stetig weiterentwickelt. Trotzdem halten sich manche Vorurteile gegenüber dem Medium – besonders im beruflichen Kontext. Dabei eignen sich SpielerInnen nicht nur verschiedene Fähigkeiten wie kritisches Denken an, sondern können ihre Vorlieben sogar bei der Laufbahnwahl wegweisend sein.

Videospiele und der berufliche Alltag – eine Kombination, die sich eher selten zeigt, obwohl statistisch gesehen doch gerade Jugendliche gerne oft hin und wieder zum Controller greifen. Sichtbar ist dies etwa in der jährlich durchgeführten JAMES-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), welche erst letztes Jahr einen Anteil von 93 % männlichen und 65 % weiblichen regelmässigen GamerInnen unter den befragten Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren feststellte.  

Den möglichen positiven Wirkungen des Gamings ist man sich an der ZHAW bewusst, ebenso wie den Implikationen auf die Laufbahnwahl, die Präferenzen im Videospielbereich haben können. So wurden von der Hochschule im Rahmen des Forschungsprojekts «Gaming Skills – Verborgene Kompetenzen für die Berufswelt» Workshops mit Berufsberatenden durchgeführt, welche hierbei in die Thematik eingeführt und nach ihrem Wissensstand bezüglich Gaming befragt wurden. Der Zweck war hier insbesondere, herauszufinden, ob das Bedürfnis zur Integration der Thematik in die Berufsberatung überhaupt besteht und inwiefern die BeraterInnen im Rahmen ihrer Arbeit bereits mit Gaming zu tun gehabt hatten.  

Das Interesse bestand tatsächlich und ihm entsprechend wird das Thema im Rahmen des neueren ZHAW-Forschungsmoduls «Entwicklung des berufsbezogenen Gaming-Skills Inventars BGSI» weiterbehandelt. «Games sagen sehr viel über einen aus. Einerseits über Interessen, auf der anderen Seite über bevorzugte Fähigkeiten, die man gerne ausübt», erklärt der Leiter dieses fortführenden Projektes, Stephan Toggweiler, zum Nutzen der Gaminginteressen im Rahmen der Berufsberatung. 

Games als Einblick in die berufliche Zukunft

Gerade da BerufsberaterInnen nicht jedes Spiel kennen und oft mit der Materie nicht allzu vertraut sind, ist das Projekt für diese umso wertvoller, denn am Ende soll hier ein Werkzeug in Form eines ausführlichen Fragebogens entstehen, der über die Interessen und damit verbundenen Fähigkeiten der Jugendlichen Auskunft zu geben vermag. Besonders wertvoll ist das laut Marc Bodmer, Mitglied des Projektteams und Gaming-Experte, aus zeitlichen Gründen: «Diese Evaluationen finden immer unter einem hohen Zeitdruck statt. Sie können nicht einen halben Tag dauern, sondern müssen in eher kleinen Zeitfenstern erledigt werden – zum Teil nicht viel mehr als eine Viertelstunde.» Aus diesem Gedanken heraus sei im Rahmen der Workshops der Wunsch nach einem derartigen Tool entstanden. 

Marc Bodmer steht mit seinem Hund im Arm in der Natur

Marc Bodmer ist Experte im Gamingbereich und publiziert selbst regelmässig in Tagesmedien zu dem Thema. Bild: zVg

Einen tieferen Einblick in die Thematik zum richtigen Verständnis wird nicht nur von aussen benötigt; SpielerInnen sind sich selbst oftmals dem Nutzen ihres Hobbys gar nicht bewusst. «Fragt man SchülerInnen nach dem Grund, warum ein Game ihr Lieblingsspiel ist, kommt dabei meist eine Antwort wie ‹es ist lässig› oder ‹es macht Spass›. Die Frage ist aber, warum es Spass macht», erklärt Bodmer. So kann es unter anderem sein, dass eine Person hauptsächlich Gruppenspiele spielt, eine Vorliebe für die Arbeit mit Zahlen aufweist oder gerne feinmotorisch präzise Tätigkeiten ausführt. All dies sind Aspekte, die sich sowohl in der Videospiel- als auch in der Realwelt manifestieren können, aus denen sich ein wertvoller Hinweis auf die passende berufliche Laufbahn der SpielerInnen herauskristallisieren kann. 

Verborgene Talente

Nicht nur bei der Berufssuche, sondern auch im Job selbst können sich Fähigkeiten äussern, denen sich der betroffene Spieler nicht bewusst ist. Bodmer erwähnt hierzu das Beispiel einer Studie mit ChirurgInnen, die mithilfe von Robotern arbeiten und im Durchschnitt tatsächlich präziser arbeiten, wenn es sich dabei um GamerInnen handelt. Generell trainieren Videospiele bei ihren Konsumenten Aspekte der sogenannten «Seven Survival Skills» – unter anderem kritisches Denken, Informationsanalyse und Anpassungsfähigkeit. 

Resilienz ist eine ebenso wichtige Eigenschaft, die hier trainiert werden kann. Wer oft scheitert und es trotzdem weiter probiert, entwickelt ein gewisses Durchhaltevermögen. Dies kann sich allerdings auch in die gegensätzliche Richtung entwickeln – wer im Spiel schnell aufgibt und wegläuft, kann mitunter in vergleichbaren Situationen im Leben auch mal zu schnell das Handtuch werfen.  

Zukünftige Teamführer aus unerwarteten Bereichen

Wer viele verschiedene Videospiele spielt, sieht sich mit ebenso vielen Szenarien konfrontiert, die oftmals ihre ganz eigenen Lösungen erfordern – manchmal innert weniger Sekunden. Besonders bei Teamspielen kann sich dabei auch die Fähigkeit zur Teamführung entwickeln. Speziell ausgeprägt ist dies im E-Sport-Bereich, beispielsweise im Team-Shooter «Counter Strike: Global Offensive» (CS:GO), aber auch bei GamerInnen, die sich solche Turniere nicht zur Berufung gemacht haben, kann dieser Aspekt gefördert werden. 

Portraitfoto von Stephan Toggweiler

Stephan Toggweiler leitet den Weitergang des Themas in Form einer Entwicklung eines Fragebogens für die Berufslaufbahnberatung. Bild: zVg

Als Beispiel dafür gelten etwa Raids in «World of Warcraft» – schwere, mechanisch intensive Bosskämpfe, die in Teams mit bis zu 40 SpielerInnen gleichzeitig ausgetragen werden, welche dabei alle ihre eigene, oft komplett unterschiedliche Rolle zu spielen haben. Diese Kämpfe dauern oftmals bis zu über 10 Minuten am Stück und ein einziger Fehler im falschen Moment kann bedeuten, komplett von vorne anfangen zu müssen. Hinzu kommt, dass ein kompletter Raid-Abend für viele Teams eine Zeitspanne von mehreren Stunden beansprucht. 

«Das regelmässige Planen und Organisieren einer derart grossen Gruppe benötigt Fähigkeiten, die sich unter Leadership einordnen lassen», bestätigt hierzu Marc Bodmer. Die Arbeit ist damit noch längst nicht getan: Oftmals wird die organisierende oder eine andere Person – üblicherweise betitelt als der «Shotcaller» – während des Kampfes mittels Anweisungen an das gesamte Team die Führung übernehmen, damit alle Aspekte des Kampfes so reibungslos wie möglich erledigt werden können. 

Versuch, Irrtum und Vorurteil

Wie SpielerInnen von ihrer Erfahrung beeinflusst werden, zeigt sich im Vergleich zu NichtspielerInnen auch in Verhaltensmustern und Herangehensweisen. «Personen, die mit Games aufgewachsen sind, folgen dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Ohne das läuft in Computerspielen gar nichts», erklärt Bodmer. Sie probierten und experimentierten viel mehr aus, während Nicht-Gamer oftmals bereits ein oder zwei Gedankenschritte weitergingen und sich so bei der Problemlösung mitunter selbst im Weg stünden. 

Eine Hand am Joystick in einer Baumaschine

Wer sich am Controller wohlfühlt, findet sich zukünftig vielleicht auch beim Kontrollieren einer Maschine schnell zurecht. Bild: Venerala / Depositphotos

Wo Fähigkeiten bestehen, sollten diese auch angewendet werden. Bei der Berufssuche muss damit aber trotzdem vorsichtig umgegangen werden – gerade, weil eine Stigmatisierung um das Gaming weiterhin besteht. «Bei einem Handwerksbetrieb etwa ist die Erwähnung, man sei ein Gamer, nicht gerade der schlauste Einstieg, denn in dieser Branche wird häufig in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und Gamer werden in der Regel nicht gerade als Frühaufsteher betrachtet», nennt Bodmer als Beispiel. Selbst in der IT-Branche sei es nicht selbstverständlich, dass man damit punktet.  

Ein ihm bekanntes Beispiel im Sinne der Teamführung sei ein Abschlussschüler einer Diplommittelschule gewesen. Er war sowohl ein Teamleader in CS:GO als auch Pfadiführer. Vermittelt werden können auf beide Wege dieselben Kompetenzen – jedoch riet Bodmer ihm, wenn dann erst beim Vorstellungsgespräch auf den spielerischen Teil einzugehen, da die Tätigkeit des Pfadiführers doch viel bekannter und weniger stigmatisiert ist. 

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Nebst der Arbeit als Redaktorin der FonTimes begeistert mich die Vielfalt der Medienlandschaft. Ob Filme, Games, Serien oder auch Anime: Bei mir geht alles. In der Freizeit findet man mich ausserdem regelmässig bei der Erkundung von Städten – allen voran Zürich.
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