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«Real Omnivores»: Neuer Ernährungsstil ohne Kompromisse

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Insekten wie die Heuschrecke sind eine umweltschonende Eiweissquelle. Bild: stockphotostrends/Depositphotos

Wird bald ein neuer Ernährungsstil den Trend zur veganen Ernährung ablösen? Die sogenannten «Real Omnivores» wollen geschmacklich keine Abstriche machen und gleichzeitig umweltschonend essen. Wie das möglich sein soll, wird bereits mit konkreten Ansätzen angedeutet.

Auf klimagerechte Lebensmittel setzen und trotzdem jeden Geschmack geniessen, den man sich wünscht – so lautet der Wunsch vieler umweltbewusster KonsumentInnen. Glaubt man der Trendforscherin und Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler, wird sich aufgrund des Anspruchs, diese beiden Komponenten in Einklang zu bringen, zukünftig ein neuer Ernährungsstil etablieren. Die «Real Omnivores», wie sie die Österreicherin nennt, sollen sich diesen Wunsch erfüllen, indem sie klimaschonend und mit neuen Technologien produziertes Essen bevorzugen und auch ungewohnte Nahrungsmittel auf ihren Speiseplan setzen.

Bereits seit 25 Jahren beschäftigt sich Hanni Rützler mit der Esskultur und beschreibt, welche Ernährungstrends aktuell angesagt sind oder in den Vordergrund treten werden. Die Forscherin erklärt in ihrem neuen Buch «Food Report 2022», wie die Coronapandemie unsere Ernährungsweise verändert hat und wagt eine Prognose bezüglich der Essenstrends fürs kommende Jahr.

Rützler sagt voraus, dass die Coronapandemie der Bevölkerung mehr Zeit gegeben hat, um auf eine umweltschonende Ernährung umzustellen. Der Trend in Richtung vegane und vegetarische Ernährung habe sich verstärkt und es werde in Zukunft die Regel sein, dass jedes gute Restaurant auch vegetarische und vegane Kost anbietet. Weiter hätten die Reiseeinschränkungen die Sehnsucht nach exotischem Essen gesteigert. Im Geiste der «Real Omnivores» soll laut Rützler jedoch zukünftig auch bei der Konsumation von exotischen Gerichten und Lebensmitteln der Umweltschutz nicht ausser Acht gelassen werden.

Die «tatsächlichen Allesesser»

Im Vergleich zu anderen Esstypen sollen «Real Omnivores» offener sein, was den Einsatz von moderner Technologie in der Lebensmittelproduktion anbelangt. Diese Einstellung soll ihnen erlauben, die Gerichte zu geniessen, auf die sie Lust haben, und dabei die Umwelt zu schonen. Der Name dieser Ernährungsweise deutet darauf hin, wie dies möglich sein soll.

Hanni Rützler präsentiert ihr Buch Food Report 2022

Die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler forscht auf dem Gebiet der Ernährungstrends. Bild: Instagram FOOD ZURICH

Hanni Rützlers Bezeichnung «Real Omnivores» kann auf Deutsch als «tatsächliche Allesesser» beschrieben werden. So möchten diese zwar auf kein Nahrungsmittel komplett verzichten, jedoch eine umweltschonende Ernährung pflegen. Die «Real Omnivores» setzen laut Rützler auf neue Food-Technologien, konkret nicht nur auf künstlich kultiviertes Fleisch und Fleischersatz, sondern auch auf Lebensmittel aus Algen und Insekten. Gemäss Rützler scheuen sie sich nicht davor, neues und ungewohntes Essen zu probieren, welches als umweltschonend gilt.

Tierprodukte essen die «Real Omnivores» eher selten, und wenn doch, dann gilt das Prinzip «from nose to tail», zu Deutsch «von der Nase bis zum Schwanz». Dieses besagt, dass sämtliche Teile des Tiers gegessen oder sonst irgendwie genutzt werden sollen, damit möglichst wenig verschwendet wird.

Exotische Wassertiere und -pflanzen aus der Gegend

Da die neuen Allesesser in Zukunft auch nicht auf exotische Gerichte und Delikatessen verzichten wollen, soll laut Rützler schon bald der Trend zu «Local Exotics» boomen. Mit «Local Exotics» ist gemeint, dass exotische Nahrungsmittel wie Muscheln in der Nähe ihrer Konsumenten hergestellt werden. Das Ergebnis sind unter anderem frische asiatische Wassertiere und -pflanzen von hier, deren Zucht aufgrund der kurzen Transportwege grosse Mengen an CO2 spart. Zur Herstellung solcher Lebensmittel werden schon jetzt moderne Technologien wie Aquaponik und Indoor Farming eingesetzt, deren Förderung den Trend hin zu einem stärkeren Aufkommen von «Real Omnivores» weiter belschleunigen dürfte.

Indoor Farming mit Hydrokultur und kultivierten Pflanzen

Mit Indoor Farming lässt sich Platz, Wasser und fruchtbaren Boden sparen. Bild: leungchopin/Depositphotos

Durch Aquaponik wird die Aufzucht von Wassertieren wie Fischen, Krebsen, Muscheln und Schnecken, aber auch Wasserpflanzen wie Algen, in Europa ermöglicht. Die Bedingungen für die Tiere und Pflanzen werden mittels Aquaponik in geschlossenen Räumen künstlich hergestellt. Das Wasser, welches für die Zucht der Meeresfrüchte und Fische verwendet wird, ist in der Regel in eine Kreislaufwirtschaft integriert. Das bedeutet, dass das schmutzige Wasser der Fische für die Wasserpflanzen genutzt wird, die nebendran gezüchtet werden.

Mit der Kreislaufwirtschaft wird das Wasser mehrmals verwendet und muss zwischendurch nicht gesäubert oder bearbeitet werden. Nur um den Stickstoffkreislauf in den Wasserbecken aufrechtzuerhalten, werden Bakterien, die Stickstoff in Sauerstoff umwandeln, dem Wasser beigegeben. Durch die Kreislaufwirtschaft wird auch an Dünger gespart, da das wiederverwendete Wasser ausgiebig mit natürlichem Dünger für die Wasserpflanzen angereichert ist.

Fruchtbare Böden schonen und Wasser sparen

Indoor Farming wiederum ist ein Lösungsansatz, der auf den Verzicht von Agrarflächen abzielt. So werden Pflanzen beim Indoor Farming auf Plantagen in Gewächshäusern gezüchtet. Die Bedingungen für die Pflanzen werden hierbei künstlich hergestellt. Lampen spenden künstliches Licht und das Gewächshaus selbst schützt vor der Witterung. Da die Pflanzen hier von der Aussenwelt abgeschirmt wachsen, können die Bedingungen für sie perfekt eingestellt werden, was ihr Wachstum fördert und die Gewächse weniger anfällig für Krankheiten und Parasiten macht. Mit Sensoren und Kamerasystemen werden die Pflanzen beobachtet, sodass die Bedingungen für sie stetig verbessert werden können. Dadurch sorgt diese Anpflanzungsart für weniger Foodwaste und produziert dementsprechend eine grössere Menge an Lebensmitteln.

Suppe mit Mehlwürmer ist angerichtet

Die knusprigen Mehlwürmer passen zum Beispiel gut in eine Kürbissuppe. Bild: ccile.ducrot.orange.fr/Depositphotos

Die Pflanzen werden beim Indoor Farming vertikal übereinander gehalten, wie in einem Regal. So nehmen sie weniger Platz ein und brauchen eine kleinere Fläche an fruchtbarem Boden. Auch der Wasserverbrauch wird auf diese Weise reduziert. Da das überschüssige Wasser von den höheren Etagen auf die niedrigeren hinuntersickert, statt im Erdboden zu verschwinden, wird auch das volle Potenzial des Wassers ausgeschöpft.

Insekten, die neue Proteinquelle

Bei den «Real Omnivores» sollen zudem Insekten als eine umweltschonende Fleischalternative auf den Teller kommen. Denn gelten diese als klimafreundlich, da sie viel weniger Platz und Wasser benötigen als Nutztiere und kaum Treibhausgase produzieren. Insekten eignen sich sehr gut als Fleischersatz, denn sie beinhalten Omega-3-Festtsäuren, B-Vitamine und zahlreiche wichtige Mineralstoffe. Mehlwürmer sind zum Beispiel besonders Sportlern zu empfehlen, denn sie enthalten etwa gleich viele Proteine wie Schweine- und Rindfleisch, gefriergetrocknet sogar mehr als doppelt so viel. Wer sich nicht vorstellen kann, Insekten in ihrer ursprünglichen Form zu essen, kann zu Pulver greifen. Zermahlt und in Form eines Burgers sind die Krabbeltierchen kaum wiederzuerkennen.

«Um die Nährstoffe aus den Insekten auch im Körper aufzunehmen, sollte man jedoch auf eine ausgewogene Ernährung achten», ergänzt Ernährungsberaterin Franziska Staub vom Ernährungszentrum Zug «optiKal». So kann man je nach der biologischen Wertigkeit der Nahrung Nährstoffe nur in Kombination mit gewissen anderen Nährstoffen aufnehmen. Zum Beispiel sollte eine spezielle Eiweisssorte mit einer passenden Aminosäure gegessen werden, damit der Körper das Eiweiss verarbeiten kann.

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Wenn ich nicht gerade an einem Artikel für FonTimes schreibe, kann man mich beim Lesen, Zeichnen und natürlich beim Yoga erwischen. Als gelernte Übersetzerin begeistere ich mich für Sprachen und bin immer für eine Tasse Tee zu haben.
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