Nachhaltig

Ökozid – eines der schwersten Verbrechen unserer Zeit

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Die Zerstörung von Ökosystemen geht uns alle an. Bild: nico99 / Depositphotos

Der rücksichtslose russische Angriffskrieg hat in der Ukraine unermessliches Leid ausgelöst. Er ist darüber hinaus ein Ökozid – ein Verbrechen an der Umwelt, zu Land genauso wie zu Wasser. Doch Krieg ist «nur» einer von unzähligen Gründen für Ökozid, der weltweit in unterschiedlichen Facetten auftritt. So auch in der Schweiz. Die junge Schweizer Meeresschutzorganisation KYMA sea conservation & research fordert nun Massnahmen: Verbrechen gegen die Natur sollen als solche verstanden und geahndet werden können.

«Alles Land, die Fruchtbarkeit des Bodens, auch die Ressourcen des Waldes und des Wassers, die Flora und Fauna sind völlig zerstört und manches ist unwiederbringlich verloren.» Dies teilte die ukrainische Umweltorganisation Razom We Stand nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms mit.

Die Ukraine ist einer von unzähligen aktuellen Schauplätzen eines Verbrechens an der Umwelt, eines sogenannten Ökozids. Doch was ist mit «Ökozid» genau gemeint? Der Begriff bezeichnet die vorsätzliche und grossflächige Zerstörung von Natur respektive Ökosystemen. Wer mit eigenen Augen ein durch industrielle Fischerei zerstörtes Korallenriff in Westafrika oder einen kahlgeschlagenen, leblosen Urwald in Indonesien oder Kanada gesehen hat, den lassen diese Bilder nie mehr los. Wir erleben heute weltweit das grösste Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier. Immer wenn wir abends zu Bett gehen, ist die Erde um bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten ärmer geworden. In den vergangenen vier Jahrzehnten ist die Zahl der Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien um 60 Prozent gesunken.

Nur wenig Positives

Das betrifft auch die Schweiz: Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) stehen bei uns 47 Prozent der Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste der bedrohten Arten, bei den Fischen sind es sogar 65 Prozent. Es ist noch nicht lange her, als die Windschutzscheibe am Auto mit Insekten verklebt war. Heute sieht man das kaum mehr. Dass Insekten eine wichtige Grundlage der Nahrungskette und der Bestäubung von Lebensmitteln darstellen, wird gerne ignoriert.

Gruppenbild KYMA-Team am Strand

Das KYMA-Team beim Beseitigen von Müll an einem Strand. Bild: Corinne Eicher

Ursache des katastrophalen und rasenden Artenrückgangs sind die jahrzehntelangen menschlichen industriellen, landwirtschaftlichen und militärischen Aktivitäten. Dazu gehören die Verbrennung fossiler Brenn- und Treibstoffe, die Abholzung, die Überfischung, der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide und langlebiger Chemikalien, die Verknappung und Zerstörung von Lebensraum. Natürlich gab und gibt es auch positive Entwicklungen. Das Verbot des kommerziellen Walfangs in den 1980er-Jahren zum Beispiel. Doch auch dieser Erfolg steht durch die ungelöste Klimakrise beziehungsweise die dadurch verursachte zunehmende Versauerung der Ozeane, die Verschmutzung und die Überfischung auf wackligen Beinen.

Wann wird Ökozid einklagbar?

Die bislang geltenden Umweltschutzgesetze und Strafen reichen nicht aus, um Ökozid effektiv aufzuhalten. Allzu oft wird dieser als Kollateralschaden einfach in Kauf genommen. Die Schweizer Meeresschutzorganisation KYMA sea conservation & research lanciert mit einer Ökozid-Kampagne und -Petition nun einen entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs, der an Aktualität in den nächsten Jahren sicherlich noch zunehmen wird. KYMA stellt in diesem Zusammenhang Fragen wie: Warum wird niemand für die massive Zerstörung der natürlichen Lebenswelt, dem Zuhause von uns allen, zur Verantwortung gezogen? Wann wird Ökozid am Internationalen Strafgerichtshof als fünftes internationales Verbrechen gelistet und verfolgt? «Das Strafrecht ist bei der Bekämpfung des Ökozids zentral», sagt KYMA-Geschäftsleiterin Silvia Frey. «Es legt nicht nur fest, welche Handlungen rechtlich geahndet werden, sondern auch, was wir als Gesellschaft als moralisch akzeptabel definieren. Der Ökozid geht weiter, wenn wir diesen nicht international und national als Verbrechen und damit auch als moralisches Unrecht einstufen.»

Silvia Frey auf einem Boot

Silvia Frey (Mitte) bei einer Mikroplastikprobenahme mit Teilnehmenden auf dem Meer. Bild: Ursula Meisser

Für die Meeresschutzbiologin ist eine gerichtbare Verankerung von Ökozid in Den Haag dringlich und zentral. «Dadurch könnten für schwere Umweltschäden verantwortliche Personen endlich strafrechtlich verfolgt werden. Zudem hätte ein Ökozid-Gesetz Signalwirkung, weil es Unternehmen und Regierungen von umweltschädigenden Investitionen und Praktiken weggeleiten würde.»

In der Schweiz tut sich bislang wenig

Es sei von entscheidender Bedeutung, dass Regierungen mit gutem Beispiel vorangehen und ein System der Sorgfalt etablieren. Das Europäische Parlament sprach sich im Frühling dafür aus, Ökozid als Verbrechen in die überarbeitete Umweltrichtlinie der EU aufzunehmen, wobei dies allerdings noch vom Europäischen Rat und der Europäischen Kommission bestätigt werden muss.

Während die Aufnahme von Ökozid in die nationale Gesetzgebung in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt diskutiert wird oder bereits erfolgt ist, ist das Thema in der Schweiz bislang nicht auf der politischen Agenda. Als einer der 123 Mitgliedstaaten des Römer Statuts, welches die rechtliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs bildet, hat die Schweiz ein Mitspracherecht und sollte dieses im Sinne des Schutzes der internationalen Gemeinschaft vor Ökozid nutzen und das von verschiedenen Ländern getragene Vorhaben unterstützen. KYMA fordert vom Bundesrat und dem Parlament, sich für die Aufnahme von Ökozid als fünftes internationales Verbrechen in das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs einzusetzen und Ökozid als Verbrechen in der nationalen Gesetzgebung der Schweiz zu verankern.

Weitere Informationen zum Thema Ökozid und Meeresschutz findest du hier.

Yves Zenger und Silvia Frey

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