Der Bauernhof etabliert sich immer mehr als Ort, wo Kinder bereits im Vorkindergartenalter die Natur, Tiere und sich selbst entdecken können. Entsprechende Spielgruppenangebote gewinnen auch im Kanton Zug stetig an Beliebtheit.
Dass ein Kind auf die Frage, woher die Milch kommt, in vollem Ernst mit «Migros» antwortet, ist nicht nur ein Kalauer, der sich mittlerweile seit Jahrzehnten hält, sondern oft genug traurige Realität. Wobei natürlich nicht dem Kind sein Unwissen vorgeworfen werden kann, sondern sind ihm die Hintergründe, was die Lebensmittelproduktion anbelangt, offensichtlich nie erklärt worden. Weder zuhause, noch in der Spielgruppe, Schule oder woanders. Werden den Kindern die Zusammenhänge erklärt, woher das Essen auf ihrem Teller stammt und was es für einen Weg hinter sich hat, fördert dies nicht nur einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln, sondern erfahren sie generell eine Sensibilisierung im Bereich der Nachhaltigkeit.
Den passenden Nährboden dafür bieten unter anderem Bauernhofspielgruppen. Dabei verbringen die Kinder – meist im Vorkindergartenalter – maximal einen halben Tag pro Woche auf dem Bauernhof. Dort lernen sie das Treiben auf einem Landwirtschaftsbetrieb kennen, was es bedeutet, nach den Jahreszeiten zu leben, den Umgang mit Tieren und vieles mehr. Bauernhofspielgruppen erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit; so kommen im Kanton Zug mit dem Schuljahr 2023/24 gleich mehrere solcher Spielgruppen hinzu.
Spielen und lernen
Darunter jene der «Dräckspatzen» in Rotkreuz. Geführt wird sie von Nadine Probst, die gemeinsam mit ihrer Familie auf dem Mattenhof lebt. Der Landwirtschaftsbetrieb ist seit 1919 im Besitz der Familie Probst und wird seit 2015 in der vierten Generation von Stefan und Nadine Probst geführt. Sie hat kürzlich die Bäuerinnenschule sowie die Weiterbildung IG Bauernhofspielgruppenleiterin absolviert und freut sich darauf, die Kleinen im Alter zwischen drei und fünf Jahren an einen respektvollen Umgang mit der Natur und den Tieren heranzuführen. Doch betont sie gleichzeitig, dass die Kinder in erster Linie «Zeit und Raum bekommen sollen, um Kind zu sein, zu entdecken, laut und schmutzig zu sein».
So steht das freie Spielen denn auch im Zentrum. «Von den zweieinhalb Stunden auf dem Bauernhof werden die Lernsequenzen und Geschichten nur einen kleinen Teil ausmachen, vielleicht eine Viertelstunde», erklärt sie. Diese seien trotz ihrer Kürze wichtig, um das vernetzte Denken zu fördern. Probst ist es ein Anliegen, dass jedes Kind sein eigenes Tempo verfolgen darf, zu nichts gezwungen wird. Ob es sich dabei um das Ernten von Früchten handelt, das Mosten oder das Besuchen der Hühner im Stall.
Sich zurechtfinden in der Gruppe
Für viele der Kinder wird es das erste Mal sein, dass sie sich in einer grösseren Gruppe mit Gleichaltrigen bewegen, entsprechend lehrreich wird die Zeit für sie insbesondere auch in sozialer Hinsicht sein. «Gerade deswegen werden wir uns gerne etwas zurückhalten und schauen, wer sich wie in die Gruppe integriert. Kinder finden oftmals selbst eine Lösung und bei Bedarf können wir immer noch etwas nachhelfen», ergänzt Nadine Probst.
Sie ist sich bewusst, dass manchen der anfängliche Ablösungsprozess schwerfallen wird. Freilich gilt dies genauso für die Eltern. In solchen Momenten sei es wichtig, dass die Eltern ihr Kind bestärken und ermutigen, den Schritt zu machen, ein paar Stunden in einem anderen Umfeld mit anfangs fremden Leuten zu verbringen. Eine Weise, den Kindern in diesem Zusammenhang Sicherheit zu vermitteln, sind strukturierte Abläufe und Rituale, gerade nach dem Ankommen sowie zur Verabschiedung.
Auch im Umgang mit den Hoftieren wird es Regeln geben. So gilt es beispielsweise zu akzeptieren, wenn es Hofhündin Joya etwas zu viel wird und sie sich zurückzieht. Wo es zu Beginn noch den Hinweis von Nadine Probst braucht, so werden die Kinder mit der Zeit lernen, die Tiere und ihr Verhalten zu lesen. «Dann können sie die Tiere auch richtig einschätzen und lernen, ihre Sprache zu verstehen», erklärt sie. Neben Joya sind auf dem Hof ausserdem eine Katze, Hühner, Ziegen, Pinzgauer Kühe, Kälber sowie ein Stier anzutreffen.
Das Mami sündigt
Eine frühe Sensibilisierung für die Tiere, die Umwelt und die Lebensmittelproduktion – all dies möchte Nadine Probst in der Bauernhofspielgruppe mitgeben. Und sie ist überzeugt davon, dass sich diese Themen auch als Schulstoff eignen würden. «Ich lernte an der Bäuerinnenschule Fakten aus der Landwirtschaft, bei denen ich mich frage, weshalb dies in der Primarschule kein oder kaum ein Thema ist.» Diese als Teil des Lehrplans – davon würden alle profitieren, ist sie sich sicher. Als Beispiel, was dies bewirken könnte, nennt sie den entrüsteten Blick eines «Dräckspatzes», der mit Unverständnis darauf reagiert, wenn das Mami soeben nicht saisonale Erdbeeren und Lebensmittel in übertriebenen Plastikverpackungen nach Hause bringt.
Auf der anderen Seite könnten zweifellos auch die Erwachsenen von den Kindern lernen. «Insbesondere wenn es darum geht, einen Gang runterzuschalten und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind – und zwar vorurteilslos und neugierig», sagt Probst. Ausserdem seien die kindliche Fantasie und die Fähigkeit, sich an kleinen Dingen zu erfreuen, immer wieder inspirierend.
Hast du Spiele auf deinem Handy?
Wie erwähnt, ist der «Dräckspatz» nicht die einzige Bauernhofspielgruppe, die im kommenden Schuljahr erstmals die Flügel ausbreitet. So lanciert auch die Lorzewichtel GmbH aus Cham ein zusätzliches Angebot mit Bauernhofbesuchen, das sich an Kinder im Spielgruppenalter richtet. Die Besuche auf dem Enikerhof werden einmal wöchentlich erfolgen, jeweils am Donnerstagvormittag. Hinzu kommt das Angebot «IdeenReich» für Kinder bis zum 8. Geburtstag. Diese Donnerstagnachmittage können einzeln gebucht werden und finden ab 6 Kindern statt.
Leiterin Dagmar Rhyner führt neben den von Nadine Probst genannten Argumenten, die für die Bauernhofspielgruppe sprechen, noch einen weiteren Punkt an – jenen der Bildschirmzeit, die dadurch zumindest etwas reduziert werden kann. «Die Erfahrungen, die ein Kind in den ersten Lebensjahren macht, sind extrem prägend. Es erlebt bereits in den jungen Jahren Momente, die es wirklich glücklich machen, es ganz tief in der Seele berühren und das funktioniert nicht über einen Bildschirm. Der Sinn des Lebens werden wir alle nie online finden. Die Bildschirmzeit ist ein ungesundes Online-Verhalten und ein Generationsthema.»
Sie appelliert, dass die Kinder raus in die Natur und an die frische Luft sollen, um sich selbst zu finden und zu fühlen. Auf diese Weise könne das Selbstwertgefühl gefördert werden, damit die Kinder im Frieden mit sich selbst sein und dies auch ausstrahlen können.
Sowohl für die Bauernhofspielgruppe «Dräckspatz» als auch für die «Lorzewichtel» gibt es noch freie Plätze für das Schuljahr 2023/24. Die «Spatzen» werden jeweils montags, dienstags und donnerstags von 8:45 bis 11:15 Uhr auf dem Bauernhof anzutreffen sein; mit 6 bis 12 Kinder pro Gruppe. Auf Seiten der «Lorzewichtel» dauern die Bauernhofbesuche von 8:30 bis 11:30 Uhr. Alle weiteren Informationen sowie den Anmeldetalon findest du unter pinzgauerrind.ch/spielgruppe-dräckspatz respektive lorzewichtel.ch.