Bildung

Für mehr Frauen in MINT-Berufen

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Unter anderem ist die Naturwissenschaft Teil der MINT-Berufe. Bild: Adobe Stock

MINT-Berufe, also Berufe aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, sind bei jungen Menschen äusserst gefragt. Doch die Frauenquote ist dabei sehr tief. Weshalb dies so ist und was man tun kann, um MINT-Berufe bei jungen Mädchen und Frauen beliebter zu machen, erzählt Gabrijela Pejic im Interview. Sie ist Chemielehrerin und seit 2019 Rektorin der Kantonsschule Menzingen, die Teil des MINT-Frauennetzwerks ist.

Gabrijela Pejic, das Interesse von Seiten jugendlicher Frauen scheint durchaus da zu sein, trotzdem drängen nur wenige tatsächlich in die MINT-Berufe. Wieso ist das so?

Das Interesse junger Frauen an MINT-Berufen ist zweifellos vorhanden, und es gibt viele talentierte und motivierte junge Frauen, die in diesen Bereichen erfolgreich sein können. Dennoch üben nur wenige von ihnen tatsächlich einen MINT-Beruf aus. Aktuelle Forschungen zeigen, dass im Berufswahlprozess Jugendliche – sowohl Männer als auch Frauen –  überraschenderweise weniger von persönlichem Interesse, Neigungen, Begabungen und Fähigkeiten beeinflusst werden, als von der Sozialisation und von den Umwelteinflüssen, die auf sie einwirken.   

Welche Rolle spielen Stereotype und Vorurteile bei der Entscheidung junger Frauen, ob sie eine Karriere in MINT-Berufen verfolgen möchten?

Geschlechterstereotype, ein Mangel an weiblichen Vorbildern, das Bildungssystem, unzureichende Informationen und mangelnde Unterstützung können als unbewusste Einflüsse eine entscheidende Rolle im Berufswahlprozess junger Frauen spielen. Diese Faktoren schaffen oft ungewollte Hürden, die es jungen Frauen schwerer machen, sich für ein MINT-Studium und später für eine Karriere im MINT-Bereich zu entscheiden. Traditionelle Rollenbilder halten sich in der Schweiz besonders hartnäckig.  

Portrait von Gabrijela Pejic, Rektorin der Kantonsschule Menzingen

Gabrijela Pejic hat klare Vorstellungen, wie MINT-Berufe für Mädchen und junge Frauen attraktiver gemacht werden können. Bild: zVg

Was sind die häufigsten Vorurteile, die Sie von jungen Frauen hören, weshalb sie nicht in MINT-Berufen tätig sein wollen respektive können?

In meiner Tätigkeit als Lehrerin begegne ich immer wieder den klischeehaften Vorstellungen, dass Mädchen und junge Frauen ihre Erfolge in den MINT-Fächern auf Fleiss und «harte» Arbeit zurückführen, während Jungs für ihren Erfolg in MINT-Fächern häufig angeborenes Talent oder Intelligenz als Ursache sehen. So bekomme ich immer wieder mit, dass junge Frauen, selbst mit hervorragenden Leistungen in Mathematik, sich weniger selbstsicher oder überhaupt nicht für ein ETH-Studium entscheiden, während junge Männer, auch mit knapp ausreichenden Noten, diese Hürde nehmen.
Ein weiteres weitverbreitetes Vorurteil ist die Annahme, dass MINT-Berufe, insbesondere technische und ingenieurwissenschaftliche Tätigkeiten, nach wie vor von jungen Frauen als nerdig, typisch männlich und frauenfeindlich betrachtet werden und somit in ihren Augen eher für Männer geeignet sind.  

Wie kann gefördert werden, dass mehr Frauen in die MINT-Berufe gehen?

Um mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen, ist es zwingend, die fest verankerten, traditionellen Geschlechterrollen zu überwinden und geschlechtsbezogene Zuschreibungen im Berufs- und Tätigkeitsfeldbereich zu durchbrechen. Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken in unserer Gesellschaft. Besonders entscheidend ist das unmittelbare soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen, einschliesslich Eltern, Familie, Freundeskreis und Lehrpersonen. Wir sollten frühzeitig damit beginnen, Mädchen für MINT-Themen zu sensibilisieren und ihr Interesse zu wecken, während gleichzeitig eine Erziehung und Ausbildung ohne Geschlechterstereotypen gefördert werden. Mädchen sollten bereits in jungen Jahren positive Erfahrungen mit MINT-Fächern machen, und diese Bemühungen sollten konsequent fortgeführt werden, sowohl in der Schule als auch zuhause. Weibliche Vorbilder in MINT-Berufen spielen hierbei eine zentrale Rolle, da sie Mädchen zeigen, dass sie in diesen Bereichen erfolgreich sein können.
Ich bin stolz darauf, dass wir im Kanton Zug dank der Unterstützung der Bildungsdirektion mit dem Projekt «Girls go MINT» der Kanti Menzingen für Zuger Primar- und Sekundarschülerinnen in diesem Bereich etwas unternehmen. Das MINT-Speeddating, das im September an unserer Schule stattgefunden hat, bei dem junge Mädchen und Frauen erwachsene Frauen, die in MINT-Berufen tätig sind, kennenlernen und ihnen alle ihre Fragen stellen konnten, war ein voller Erfolg.

Eine junge Archäologin neigt sich über eine Steintafel an einer altrömischen Ausgrabung

In der Archäologie haben Frauen nicht immer einen einfachen Stand. Bild: Adobe Stock

Weshalb sind die MINT-Berufe generell überhaupt wichtig?

MINT-Berufe spielen eine entscheidende Rolle in unserer Gesellschaft und sind unverzichtbar für die soziale, wirtschaftliche und technologische Entwicklung und Gestaltung unserer Welt. Diese Berufe fördern Innovation und technologischen Fortschritt, treiben wirtschaftliches Wachstum an, bieten Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel und die Gesundheitsversorgung und sind auch entscheidend für die Digitalisierung und die Entwicklung von Informationstechnologien. 

Und weshalb ist es wichtig, dass auch Frauen in diesen Berufen tätig sind?

Die Beteiligung von Frauen in MINT-Berufen ist sowohl für die Gesellschaft als auch für die Unternehmen wichtig, denn Frauen bringen unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen ein, was die Vielfalt der Ideen und Innovationen fördert und dazu beitragen kann, kreative Lösungen für komplexe Probleme zu finden. In der Schweiz herrscht ein Mangel an Fachkräften im MINT-Bereich, den die Einbeziehung von Frauen verringern und die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte erhöhen kann.  

Drei junge Frauen sitzen an einem Tisch und sprechen miteinander.

Ende September fand an der Kanti Menzingen das erste Zuger MINT-Speeddating statt. Bild: Manuela Allemann

Wie können junge Mädchen und Frauen ermutigt werden, sich für MINT-Fächer zu interessieren und ihre Talente in diesem Bereich zu entwickeln?

Wichtig scheint mir, MINT zu kontextualisieren und Mädchen und junge Frauen für die Relevanz und das Potenzial der MINT-Disziplinen zu sensibilisieren. Dies kann gelingen, indem man ihnen aufzeigt, dass MINT in allen Lebensbereichen präsent ist und ein tiefes Verständnis in den MINT-Fächern von enormer Bedeutung ist, wenn wir die Welt positiv gestalten und innovative Lösungen für die globalen technischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen entwickeln wollen, sei es im Bereich der Cybersicherheit, des Klimawandels, im Umgang mit Künstlicher Intelligenz, bei der Bekämpfung von Medikamenten- und Nahrungsknappheit oder in Fragen der Nachhaltigkeit. Darüber hinaus soll sichtbar gemacht werden, dass MINT-Berufe anders als oft angenommen von Austausch, Teamarbeit und Kommunikation geprägt sind. Diese Aspekte sind vielen Mädchen und jungen Frauen wichtig und sollten deutlich hervorgehoben werden. 

Welche Rolle spielen Bildungseinrichtungen bei der Förderung von Frauen in MINT-Berufen und wie können sie dazu beitragen, Barrieren abzubauen?

Bildungseinrichtungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Mädchen und jungen Frauen im MINT-Bereich. Um langanhaltendes Interesse zu wecken, sollten «MINT-Massnahmen» früh in der Bildungskette starten und Mädchen bis zur konkreten Berufs- und Studienorientierung begleiten. 

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