Zürich

Urban Equipe im Kampf gegen den «Mietenwahnsinn» 

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Urban Equipe bietet Hilfsmittel zur Mitgestaltung wie solche Würfel auf seiner Webseite an. Bild: Urban Equipe

Der Verein Urban Equipe setzt sich vor allem in Zürich für eine partizipative Stadtentwicklung und Raumplanung ein. Aktuell liegt sein Fokus unter anderem darauf, Mieterinnen und Mieter zu ihrem Recht zu verhelfen, beispielsweise wenn diese von einer Leerkündigung betroffen sind.

«Wir bedauern, das Mietverhältnis aufgrund der Totalsanierung und der damit verbundenen Aufhebung Ihrer Wohnung beenden zu müssen.» Solche Schreiben von Seiten der Eigentümerinnen erreichen Mieter in der Stadt Zürich in auffallender Regelmässigkeit. Für die Betroffenen beginnt dadurch oftmals eine Zeit der Ungewissheit und Verunsicherung. Nicht nur muss eine neue Wohnung gefunden werden, die Menschen werden ausserdem aus ihrem Umfeld verdrängt, Nachbarschaften zerstört und so das soziale Gefüge aufgebrochen. Gehen Leerkündigungen im urbanen Raum mit einer Totalsanierung oder einem Neubau einher, wird dadurch ausserdem oftmals verhältnismässig preisgünstiger Wohnraum zerstört, das Stadtleben exklusiver. Auf der anderen Seite winkt den Vermietern eine Renditesteigerung. 

Das Team von Urban Equipe

Das Kernteam von Urban Equipe rund um Sabeth Tödtli (von links), Lars Kaiser, Antonia Steger und Anna Brückmann. Bild: Urban Equipe

Das beschriebene Vorgehen ist beileibe kein neues Phänomen und allseits bekannt. Dagegen vorzugehen – gerade aus Sicht der Mieterinnen – ist jedoch äusserst schwierig. «Denn häufig erfahren sie von der geplanten Leerkündigung erst, wenn sie das Kündigungsschreiben erhalten», sagt Lars Kaiser. Der ausgebildete Raumplaner ist Gründungsmitglied und «Urbanist» bei der Urban Equipe.  

Der nicht-gewinnorientierte Verein setzt sich seit 2018 vor allem in der Stadt Zürich für eine partizipative Stadt- und Raumplanung ein. Städterinnen, Planungsbüros, Politik und Stadtverwaltung sollen aufeinander zugehen und zusammenarbeiten, um eine vielstimmige und lernfähige Stadt zu ermöglichen. Die Urban Equipe konzentriert sich dabei auf das Engagement der Städterinnen und unterstützt zivilgesellschaftliche Akteure dabei, Wissensaustausch zu organisieren und leisen Stimmen Gehör zu verschaffen. Der Verein finanziert sich unter anderem über Förderungen und Aufträge. 

Die Mieterinnen sollen sich wehren können

Um den Worten auch möglichst effizient Taten folgen zu lassen, pflegt das siebenköpfige Hauptteam der Urban Equipe (4 Kernteam; 3 Praktikantinnen und Praktikanten) ein grosses Netzwerk, geht mit Akteuren aus verschiedensten Bereichen (temporäre) Kollaborationen ein. So beispielsweise auch mit dem Mieterinnen- und Mieterverband (MV) Zürich. Die Zusammenarbeit zielt darauf ab, noch nicht organisierte Mieter dabei zu unterstützen, zu ihren Rechten zu kommen. Dies über Aufrufe, dass man sich melden kann, wenn man das Gefühl hat, dass ein Haus abgerissen wird. Solchen Meldungen gehen die Urban Equipe und der MV Zürich nach, informieren sich unter anderem über die Eigentümerstruktur und die Bausubstanz. 

So kann Stadtplanung aussehen

Auch so kann Stadtplanung aussehen. An der Fachtagung von Urban Equipe im vergangenen November konnten die Teilnehmenden unterschiedliche Spiele ausprobieren. Bild: Michael Meili

Die Leute können sich via Kontaktformular direkt beim MV Zürich melden, wenn sie den Verdacht schöpfen, dass bei ihnen bald verkauft, saniert oder abgerissen wird oder wenn die gesamte Liegenschaft kürzlich die Kündigung erhalten hat. Auch die Urban Equipe bietet für diesen Fall eine direkte Anlaufstelle, wobei die meisten Meldungen früher oder später bei der Urban Equipe landen. «Denn Boden- und Wohnfragen beschäftigen uns schon seit der Gründung des Vereins. Es ist uns ein Anliegen, einen aktiven Beitrag gegen die schonungslosen Strategien der Immobilienbranche zu leisten», sagt Lars Kaiser. 

Die wütende «Mieten-Marta»

So wurden in den vergangenen Monaten mehrere Angebote geschaffen: «Wir unterstützen interessierte Mieterinnen dabei, sich gemeinsam zu organisieren und zu wehren», erklärt Kaiser. Ausserdem prüft man, ob der MV Zürich ein neues Angebot regulär aufnehmen kann: Mieterschutz schon vor der Kündigung. Damit Mieterinnen ihre Rechte bezüglich einer sozialverträglichen Kündigung wahrnehmen können oder ihre Wohnung gar nicht erst verlassen müssen. 

Ihrem Unmut über den «Mietenwahnsinn» können sich nicht nur Betroffene Luft verschaffen, sondern tut dies auch die «Mieten-Marta», ein ergänzendes Gefäss der Urban Equipe. Dabei soll gegen das Ohnmachtsgefühl, das bei einer Wohnungskündigung oder während der Wohnungssuche entstehen kann, angeschrieben werden. Die fiktionale Figur schreibt, unter anderem im Newsletter der Urban Equipe, in deutlichen Worten, was sie von Teilen der Immobilienbranche hält und ist auch offen für Inputs von aussen, sprich man kann ihr auch sein Anliegen schreiben. 

Die Rolle der Urban Equipe

In den Reihen der Urban Equipe ist man sich bewusst: Die Mieter zu unterstützen und ihnen eine Stimme zu verleihen versuchen, ist hilfreich, doch keine Lösung für das Grundproblem. Kaiser sagt: «Die langfristigen Lösungen müssen auf struktureller Ebene passieren – in der Politik, im Gesetz und in der Umsetzung des Gesetzes.» 

Als Grundvoraussetzung dafür muss jedoch bei Gemeindevertreterinnen, Grundeigentümern, Interessengruppen und Planungsbüros erst über eine umfassende Kommunikation auf Augenhöhe das Bewusstsein für die verschiedenen Anliegen geschaffen werden. Eine Möglichkeit dazu bieten runde Tische im Rahmen einer partizipativen Planung. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, ob den Wünschen von Interessengruppen wie Anwohnerinnen tatsächlich ausreichend Gehör geschenkt wird.  

Die Quartieridee wurde in Zürich

Lars Kaiser im Einsatz für die Quartieridee Wipkingen, im Rahmen derer das erste partizipative Budget auf Quartiersebene in Zürich getestet wurde. Bild: Urban Equipe

Diesen Aspekt bezeichnet Lars Kaiser als «eines der Kernprobleme der Mitwirkung, wie wir sie heute kennen». Denn bestünde jeweils ein grosses Machtgefälle, das die Urban Equipe zu nivellieren versuche. «Es liegt uns entsprechend auch weniger, uns in klassische Partizipationsprozesse einzugliedern, bei denen es eher um eine Moderation zwischen Grundeigentümer und Zivilgesellschaft geht», sagt Kaiser. Denn seien sie überzeugt, dass die Entscheidungsmacht jener Zivilgesellschaft, die noch nicht eng genug eingebunden ist, gestärkt werden müsse, nennt er eines der Ziele der Urban Equipe. 

Dies bedinge ein gegenseitiges Aufeinander zugehen, die Gemeinden und Verwaltungen müssten lernen, Macht abzugeben und der Zivilgesellschaft Vertrauen zu schenken. «Diese wiederum muss auf der anderen Seite fähig sein, über einen konstruktiven Dialog zusammenarbeiten zu können. Und in dieser Schnittstelle sehen wir uns drin», führt Kaiser aus.  

Ein Handbuch, um sich zu organisieren

Das Engagement der Urban Equipe mag nicht ganz einfach zu fassen sein, doch gibt der Verein Interessierten umso konkretere Instrumente mit an die Hand. Auf seiner Webseite bietet er abstrakte Stadtmach-Taktiken, konkrete Umsetzungsbeispiele und direkt anwendbare Werkzeuge an, mit dem Ziel, über Möglichkeiten des Mitwirkens zu informieren, zu inspirieren und praktische Starthilfe für eigenes Engagement zu bieten. Dies kann bei so vermeintlich trivialen Gegenständen wie einem Kartenset beginnen, um sich auf Treffen in einem grösseren Kollektiv vorzubereiten. 

Hinzu kommt das Buch «Organisiert euch!», das die Urban Equipe in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv Raumstation sowie mit verschiedensten weiteren Kollektiven und Partnerinnen zusammengestellt hat. Es handelt sich dabei um ein Handbuch, das auf 350 Seiten praktisches Wissen für den Alltag als engagierte Gruppe bietet, sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene. Dazu gehören konkrete Anleitungen, Vorlagen zum Download und zum Ausdrucken auf der Webseite, Beispiele aus der echten Welt und mehr. Das Buch kann kostenlos auf der Webseite der Urban Equipe heruntergeladen werden.

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