Nachhaltig

Der Stoff, aus dem die Zukunft gestrickt ist

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Verschiedene Fasern im Labor. Bild: zVg

Auf dem historischen Viscose-Areal in Emmenbrücke wird seit knapp einem Jahr wieder an Textilien gearbeitet. Im neuen Spinnerei Labor der Hochschule Luzern konzentriert man sich auf Natur- und Recyclingfasern und möchte zudem die Lücke zwischen Handwerk und Industrie schliessen.

Ein kurzer Blick in unseren Kragen offenbart, woher unsere Kleider stammen. China, Indien und die Türkei zählten 2022 zu den grössten Exportländern für Textilien, wobei der Vorsprung von China uneinholbar gross wirkt. Auch Vietnam, Pakistan und Taiwan befinden sich in den Top 10 und stehen damit stellvertretend für eine Industrie, von der Europa sich verabschiedet hat.

Billig in der Produktion und vor allem viel soll es sein. So haben sich die Kleidungskäufe vom Jahr 2000 an innerhalb von nur 15 Jahren mehr als verdoppelt. Damit verbunden sind prekäre Arbeitsbedingungen, aber auch Umweltfragen. So verschlingt der Anbau von Baumwolle geradezu das Wasser und auch die notwendige Textilveredlung hinterlässt mit ihren zahlreichen Chemikalien alles andere als sauberes Trinkwasser zurück.

Wie in allen Industriezweigen ist man angesichts der anstehenden Herausforderung dieses Jahrhunderts auf der Suche nach Alternativen. Weniger Umweltbelastung, aber gerne auch bei gleichbleibendem Verbrauch. Einen für die Schweiz einzigartigen Ansatz verfolgt dabei das neu gegründete Spinnerei Labor an der Hochschule Luzern (HSLU).

Historische Spinnerei

Auf dem Areal der Viscosistadt in Emmenbrücke, wo seit Beginn des 20. Jahrhunderts Kunstseide und später Polyestergarne produziert wurde, versucht man heute, die historische Arbeit der ehemaligen Schweizer Textilindustrie fortzuführen. Betrieben wird das sogenannte «SpinnLab» gemeinsam von der HSLU, Viscosistadt und Chemiefaserhersteller Monosuisse. Als Forschungseinrichtung mit dem Fokus auf Natur- und Recyclingfasern steht einerseits der Nachhaltigkeitsaspekt im Vordergrund, auf der anderen Seite möchte man aber auch die Lücke zwischen Forschung und Industrie überwinden. Denn die grossen Produktionsunterschiede erschweren Neuentwicklungen und damit auch den Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Branche.

Tina Moor und Brigitt Egloff neben einer Maschine im SpinnLab

Tina Moor (links) und Brigitt Egloff sind verantwortlich für das SpinnLab. Bild: zVg

Die ersten Ideen, welche letztendlich zum SpinnLab führten, kamen der Leiterin Tina Moor bereits im Jahr 2015. Zunächst entstand ein Forschungsprojekt mit Bananenfasern, welche bei der Ernte in den Bananenstauden als Abfallprodukt zurückbleiben. Im Zusammenspiel mit einer Forschungsreise in Indien, bei der sie vor Ort auch eine kleine Spinnerei besuchte, reifte der Gedanke, dass die Arbeit mit kleineren Maschinen der richtige Zwischenschritt auf dem Weg zu den grossen Industrietextilmaschinen ist. «Sobald man mit nicht etablierten Fasern auf industrielle Maschinen gehen will, hat man einen grossen Aufwand, diese korrekt einzustellen», erklärt Moor. Zudem sind die jeweiligen Prozesse dort mit grossen Materialkosten verbunden und wer möchte schon bei jedem Test 200 Kilogramm Abfall produzieren, wenn der Versuch misslingt.

Der lange Weg zum Garn

Bis zur offiziellen Inbetriebnahme des SpinnLabs im Oktober 2021 wurden sieben verschiedene Maschinen aus Italien importiert. «Mit den Fasern hat man noch kein textiles Produkt, das man weiterverarbeiten kann», sagt Moor und erklärt den Weg, welchen eine Faser im Labor geht. Es wird gestreckt, gespult, gedreht und gesponnen, bis aus den Fasern ein stabiles Garn entsteht. Am Ende wartet dann die Rundstrickmaschine und zeigt auf, ob das Garn eine ausreichend hohe Festigkeit vorweist. Im Gegensatz zu den schweren Industriemaschinen lassen sich die Geräte im SpinnLab besser auf das jeweilige Material anpassen. Forschungsarbeit als Detailoptimierung.

Fasern und gestrickte Muster aufgereiht auf einem Tisch

Der Prozess von den Fasern bis zum gestrickten Muster. Bild: zVg

Um einen Vergleich zwischen SpinnLab und Industrie zu ziehen: Die Karde, welche aus losen Fasern ein Vlies spinnt, hat im Labor eine Breite von 60 Zentimetern, während sie in der Industrie mindestens 1,50 Meter umfasst. Noch grösser ist der Unterschied bei der Ringspinnmaschine, hier ist das Verhältnis 6 zu 100 Spindeln. Finanziert wurden die Anschaffung der Maschinen sowie Schulungen und Betrieb bis ins Jahr 2025 von der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung. «Die Idee ist, dass das SpinnLab nicht nur ein Forschungsprojekt bleibt, sondern langfristig in die Lehre integriert wird», erklärt Moor. Deshalb arbeitet man derzeit auch an einem Betriebskonzept für die Zukunft, welches noch mehr Partnerinnen und Akteure aus der Textilindustrie einbinden soll. «Wir sind ein Schritt zwischen Handwerk und Industrie, der vorher nicht existiert hat», fasst die Laborleiterin zusammen.

Stricken am Zukunftsplan

Man möchte ein Zentrum für Naturfasern sein, sagt Moor. Nicht nur, um sich von den synthetischen Fasern abzugrenzen, sondern weil gerade in diesem Bereich ein grosses Potenzial schlummert. «Der Ruf nach alternativen Fasern ist sehr gross. Was fehlt, sind die Prozesse und die beginnen meistens auf dem Feld bei den Rohfasern», so Moor weiter. Ob Hanf, Algen oder Ananasblätter – das beste Alternativmaterial der Welt nützt wenig, wenn es nur in homöopathischen Mengen verfügbar ist. Eine Umstellung der industriellen Prozesse beginnt in diesem Fall schon bei den Bauern, für die es sich ebenfalls wirtschaftlich rentieren muss. Und natürlich darf ein möglicher Anbau im grossen Stil nicht in Konkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau stehen.

Die andere Herausforderung bei der Forschung an Naturfasern seien die Herstellungsprozesse selbst. «Die Fasern liegen nicht einfach herum, man muss sie sich erarbeiten», sagt Moor. Die einzige Ausnahme bildet hier die Baumwolle, aber schon bei Leinen hat man einen Anteil von nur 20 Prozent Fasern im Stängel. Und schlussendlich geht es bei der Forschung mit Natur- oder Recyclingfasern auch immer um den passenden Anwendungsfall. Neben der Modeindustrie kommen dabei auch die Inneneinrichtung und technische Textilien infrage. So forschte Moor zuletzt selbst mit an einem Projekt, in dem Pflaster aus Brennnesseln produziert werden sollten. Diese entstehen derzeit nämlich, wie so viele Alltagsprodukte, noch aus Erdöl. Die erste Zerreissprobe im SpinnLab haben die Brennnesselfasern dabei bestanden.

Die Ringspinnmaschine in Aktion

Die Ringspinnmaschine mit Spindel, auf die das gesponnene Garn aufgewickelt wird. Bild: zVg

Aktuell arbeiten drei Studierende der HSLU im SpinnLab an ihren jeweiligen Bachelorarbeiten. Im Fokus stehen dabei Leinen- und Abfallfasern, Wolle sowie die Weiterführung des Brennnesselprojektes. «Wir werden ganz sicher noch andere Fasern ausprobieren, einfach um auch an die Grenzen der Maschinen zu kommen», erklärt die Leiterin des SpinnLabs. Da nicht alle an denselben Maschinen arbeiten, möchte man das Labor zukünftig auch weiter für PartnerInnen wie aktuell bereits die Universität Innsbruck öffnen. Zudem steht eine zweite Spinnmaschine auf der Wunschliste. Mit dieser könnte man auch Kleinproduktionen im Kilogrammbereich herstellen und somit auch eine neue Anlaufstelle für regionale DesignerInnen werden.

Mit Vorträgen und eventuell Workshops möchte man in diesem Jahr das SpinnLab in der Industrie, der Forschung und allgemein hierzulande bekannter machen. Auch vor Ort auf dem Viscose-Areal sollen die Forschungsergebnisse der letzten Jahre präsentiert werden. Damit man nicht nur weiss, dass hier einmal Textilien hergestellt wurden, sondern auch wieder auf einem Weg dorthin ist.

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